Branchenkonvergenz als Motor für Innovation

Quelle: Digital Insurance Agenda

Immer mehr traditionelle Versicherungsunternehmen gründen Venture-Capital-Fonds. Was halten Sie davon?

Da gibt es einige Herausforderungen zu meistern. Nehmen wir die kulturelle Herausforderung. Es ist nach wie vor sehr schwierig, Menschen für Ideen zu begeistern, die sie nicht selber erfunden haben. Aber ja, es stimmt, dass immer mehr Unternehmen solche Fonds gründen. Wenn ich ein Startup wäre, würde ich vor allem darauf achten, wie ehrlich ein Fonds ist, welche greifbaren Erfolgsbeweise sie einem zeigen können, zum Beispiel, wie man ihre Kundenbasis nutzt. Inzwischen haben Startups die Wahl. Aegons Ehrgeiz ist, der beste Partner und der beste Investor bei Serie-A-Finanzierungsrunden für Startups zu sein. Wir zeigen unsere Erfolgsnachweise. Aber wir zeigen auch Fälle, die sich aus welchen Gründen auch immer nicht als erfolgreich entpuppt haben.

Vor kurzem haben Sie den neuen Fonds Aegon Growth Capital (www.aegongrowthcapital.com) aufgelegt, der Fintech- und Insurtech-Unternehmen mit Wachstumskapital versorgt. Wie kam das zustande?

Neben der zunehmenden Branchenkonvergenz ist auch die Zerlegung der Wertschöpfungskette sehr wichtig. Außerhalb unserer Industrie werden Revenue Pools von Unternehmen gebildet, die ihr Geschäft nun in rasantem Tempo skalieren. Uns ist völlig klar, welche Rolle wir spielen, was wir tun und was wir nicht tun sollten. Aus diesem Grund haben wir einen separaten Fonds gegründet. Er wird von Profis gemanagt und wir, die Shareholder, halten uns heraus. Wenn Unternehmen also kommerzielle Geschäfte mit Aegon tätigen, haben sie mit völlig anderen Leuten zu tun, als denen, die in ihr Wachstum investieren und ihre Aktien besitzen. Wenn wir Fondsgelder investieren, geht das zudem nicht zu Lasten unseres Budgets. Damit vermeiden wir kurzfristige Diskussionen, denn diese Investitionen könnten an einem bestimmten Punkt als Ausgaben betrachtet werden. Wir trennen die Shareholder-Diskussionen von den traditionellen Geschäften, um Störungen und Einmischungen zu vermeiden. Gijs Jeuken, CEO von Aegon Growth, hat selber einst ein Unternehmen geführt, das von einer Private-Equity-Gesellschaft finanziert wurde. Sein Unternehmen wurde nach einem steilen Wachstumskurs von Aegon aufgekauft. Er kennt die Vorteile des Zugangs zu Wachstumskapital aus erster Hand, und natürlich auch die andere Seite der Medaille.

Das ist eine interessante Lektion: wenn die traditionellen Unternehmen beginnen sich einzumischen, dann stirbt im Wesentlichen das gesamte System...

Wir haben uns gefragt: `Wie lautet die Zukunft?´ Wir sind fest davon überzeugt, dass unsere Art von Unternehmen sich nicht selber neu erfinden können. Sie können natürlich viel Geld in Innovationslabore investieren und Leute einstellen, aber draußen passieren bereits Innovationen. Warum also nicht Ausschau halten nach Unternehmen, die potenziell, nicht per se, die Zukunft unseres Unternehmens darstellen könnten, und dort investieren? Im Verlauf dieses Prozesses haben wir viel gelernt. Eine Lektion lautet zum Beispiel – und das mag ein wenig zynisch klingen, ist aber wahr –, wenn Sie 50 Prozent oder mehr an einem Unternehmen halten, riskieren Sie, es zu vernichten. Das haben wir auf schmerzhafte Weise erfahren. Daher hält unser Growth Fund eher einen Anteile von – sagen wir – 20 bis 40 Prozent und beteiligt sich auch mit Private Equity für die Finanzdisziplin. Und dann erreichen wir hoffentlich den Zeitpunkt für einen größeren Anteil am Unternehmen, wenn es bereits stark genug ist, und haben zumindest eine gute Investitionsentscheidung getroffen, indem wir die richtigen Unternehmer unterstützt haben.

Sie investieren also in Unternehmen, an die Sie wirklich glauben und die das Potenzial besitzen, die Zukunft von Aegon zu bestimmen. Wie funktioniert das in der Praxis?

Wir fokussieren auf vier Segmente. Wir glauben fest daran, dass die Wertschöpfungskette in der Finanzdienstleistungsindustrie komplett auf den Kopf gestellt werden wird. Sie werden nur überleben, wenn Sie auf jeder Stufe der Wertschöpfungskette extrem stark sind. Die meisten von uns sind nicht auf jeder Stufe so stark, also müssen wir sie auslagern. Versuchen Sie nicht, alles selber zu machen. Dann lautet die Frage: `Welcher Teil der Wertschöpfungskette ist der interessanteste?´ Wir glauben, dass die Stufen, die dem Kunden am nächsten sind, potenziell die werthaltigsten sind. Aus diesem Grund sind zwei der Fokusbereiche des Growth Fund der digitale / Omnichannel-Vertrieb und Kundenengagement, Content Marketing & Plattformen. Außerdem fokussieren wir auf die Optimierung der Geschäftsprozesse und Automatisierung, um über einen neuen Weg zur effizienten Kundenansprache zu entscheiden, und zwar mithilfe der Digitalisierung und Daten, wobei wir dennoch die richtigen Produkte für unsere Kunden haben müssen. Und dann haben wir Asset & Wealth Management, denn in einer Welt, in der sich die Regierungen immer stärker aus der Altersvorsorge zurückziehen, ist völlig klar, dass Kunden mehr Eigenvorsorge treffen müssen.

Eines der wichtigsten alles überspannenden Themen der DIA-Konferenzen 2019 ist `East meets West´, weil wir glauben, dass wir sehr viel voneinander lernen können. Wie sehen Sie die Entwicklungen in Asien?

Ich genieße das Privileg, ungefähr zehnmal pro Jahr nach Asien zu reisen. Jedes Mal wieder ist es eine faszinierende Erfahrung, und ich bin immer ganz verblüfft, wenn ich zurückkomme. Daraus beziehe ich den Großteil meiner Energie! Das Tempo der Veränderungen in Asien ... Hier in Europa und Amerika hinken wir im Vergleich immer ein wenig hinterher! Wir müssen aufpassen, dass wir keine leichte Beute werden. Zugegeben, Asien kann von großen Zahlen profitieren; es gibt dort mehr (junge) Menschen, aber keine Datenschutz-Grundverordnung, und ich kann noch viele weitere Ausreden finden. Der wahre Unterschied ist jedoch, dass es viel mehr Menschen mit echtem Unternehmergeist gibt. Sie versuchen einfach etwas Neues, machen es und handeln. Sie machen große Sprünge, und das ist es, was mich so fasziniert. Wenn Sie sagen, dass wir viel von Asien lernen, kann ich das nur bestätigen.

Haben Sie eine abschließende Botschaft für die DIA Community?

Lassen Sie mich unser Gespräch mit drei Lektionen beenden: Erstens, interagieren Sie so viel wie möglich mit Startups, und genießen Sie es. Die DIA-Konferenzen sind für mich der perfekte Ort dafür. Zweitens, betrachten Sie unsere Herausforderungen nicht nur aus dem Blickwinkel der Versicherungsindustrie, sondern achten Sie auf die zunehmende Branchenkonvergenz. Wir sind ein Finanzdienstleister. Ein Kunde weiß nicht, wer eine entsprechende Lizenz hat; er will eine Lösung für sein Problem. Und schließlich: Machen Sie sich auf nach Asien und versuchen Sie zu lernen!



Aus dem Englischen übersetzt von Almuth Braun