Krankenversicherung - "Der raucht, für den zahl ich nicht!" Gesundheitstarife als Motor der Entsolidarisierung?

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Gesundheitstarife: die Angst, hoch sensible Gesundheitsdaten preiszugeben, scheint nachzulassen zugunsten eines Wunsches nach vergünstigten Gesundheitstarifen bei der Krankenversicherung. Die Belohnung einer gesunden Lebensweise erscheint immer mehr Menschen fair und sinnvoll, wenn sich dadurch ihr Tarif verringern lässt, so eine aktuelle Studie. Für sündige Raucher, Trinker oder Fresssüchtige allerdings fehlt das Mitgefühl. Die sollen für ihren Lebenswandel mal bitte selbst die Kosten tragen. Ist das die Gesellschaft, in der man leben will?

Mit dem Anreiz, einen reduzierten Tarif zu erhalten oder Bonusse zu erlangen, zeigen sich 76 Prozent der Deutschen geneigt, fit und gesund zu leben. Private Gesundheitsdaten über Armbänder oder Fitness-Apps preiszugeben als Grundlage dieses Deals finden 37 Prozent der Befragten okay. Bei den Älteren ist sie mit einem Viertel am geringsten, bei den Menschen unter 34 Jahren liegt die Zustimmung am höchsten, nämlich bei über 50 Prozent. Die Aussicht auf Rabatte überdeckt dabei lange gehegte Ängste. Zu diesen Ergebnissen kam die Online-Umfrage der Markenberatung Prophet unter dem Titel "Individuelle Gesundheitstarife: Sollten Krankenkassen eine gesunde Lebensweise finanziell belohnen?". Für die Umfrage wurden im Juli dieses Jahres 1.000 Erwachsene in Deutschland befragt.

Gesundheitsdaten & verantwortungsvoller Umgang - wie geht das in der Praxis?

Wenn es um die Daten geht, wollen die Leute als Bedingung den „verantwortungsvollen Umgang“ der Versicherungen mit ihren Daten. Denn das ist der Punkt: 63 Prozent der Befragten fürchten nach wie vor, dass ihre extrem sensiblen Daten in die falschen Hände geraten könnten. Und welche Garantie kann es geben, dass das nicht passiert?

Aus diesem Grund fanden es ¾ der Teilnehmer sinnvoll, wenn die Daten und damit eine gesunde Lebensweise nicht etwa über eine App, sondern über den Hausarzt gegenüber der Krankenkasse bestätigt werden sollte. Gleichzeitig finden es 62 Prozent der Befragten mehr als ungerecht, mit ihren Beiträgen das gesundheitsschädigende Verhalten ihrer rauchenden, trinkenden oder unsportlichen Mitbürger zu finanzieren. Solidarität mit Rauch- und Trinksucht gibt es hier keine. Es heißt, wer sich nicht um sich kümmert, soll eben auch dafür zahlen.

"Unsere Umfrage belegt den gesellschaftlichen Trend zum gesunden Leben und zu einer ausgewogenen Ernährung. Weil die Menschen mit einem bewussten Lebensstil weniger Gesundheitskosten verursachen, erhoffen sie sich von der Krankenkasse eine finanzielle Belohnung", sagt Prophet-Partner Felix Stöckle über die Ergebnisse der Umfrage. Aber was genau ist denn eine gesunde Lebensweise und wie soll man das bitte messen? Das weiß auch Stöckle noch nicht: "Für die Definition anerkannter Richtwerte und was genau eine gesunde Lebensweise ausmacht, wird ein gesellschaftlicher Konsens notwendig sein. Ein schwieriges Thema."

Belohnung und Bestrafung: ein Modell für Erwachsene?

Wie oben angesprochen, droht durch ein solches Belohnungs- und Bestrafungssystem mittel der Tarife eine 'Entsolidarisierung' innerhalb der Gesellschaft: "Etliche Versicherte sehen offenbar nicht ein, dass sie mit ihren Beiträgen das ungesunde Verhalten von anderen unterstützen und fordern vielmehr die Honorierung ihrer eigenen Bemühungen." Warum geben sich manche Menschen dem Trinken hin, warum kann sich mancher nicht mehr aufraffen, Sport zu treiben? Meist sind das doch Symptome, dass sich jemand bereits in einer schweren Lebenssituation befindet, vielleicht leidet, sich ausgeschlossen fühlt… So entstehen durch den individuellen Tarif auch ethisch-moralische Fragen.

Soll der ungesund lebende Mensch ernsthaft per Malus abgestraft werden? "Eine Malus-Regelung macht nur dann Sinn, wenn man sich insgesamt eine Verbesserung für das Gesundheitssystem verspricht und sich diese nur auf Verhaltensweisen beschränkt, die durch den Einzelnen auch tatsächlich beeinflussbar sind. Ein wahrscheinlich kaum zu lösendes Abgrenzungsproblem mit reichlich gesellschaftlichem Zündstoff", so Stöckle.