Ergo-Betriebsrat zum Stellenabbau Tag eins: Wir planen künftig ohne sie

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Ergo hat nur Stunden nach Bekanntgabe des geplanten Stellenabbaus am 1. Juni im Vertrieb die ersten Fakten geschaffen und Mitarbeiter entlassen. In teils nur zehn Minuten dauernden Gesprächen seien die zu entlassenden Mitarbeiter abgefertigt worden, berichtet der Ergo-Konzernbetriebsrat. Dieser sei zudem weder rechtzeitig noch umfassend, wie es der Gesetzgeber verlangt, von dem Unternehmen informiert worden.

Der Konzernbetriebsrat spricht von „dreist geschaffenen Fakten“ und berichtet von den aktuellen Vorgängen im Unternehmen. Noch bevor Ergo-Mitarbeiter die am 1. Juni verkündete neue Konzernstrategie - samt Abbau von 1.800 Arbeitsplätzen - verdauen konnten, habe das Unternehmen bereits „am Tag der Strategie-Bekanntgabe und den Folgetagen“ die ersten Leitenden Angestellten zum Personalgespräch einbestellt. Man habe den zu Entlassenden mitgeteilt, dass sie „nicht mehr benötigt“ werden, berichtet der Konzernbetriebsrat in einem Rundschreiben an die Belegschaft.

„Wir planen künftig ohne sie“

In seinem Schreiben vom 6. Juni, das dem Versicherungsboten vorliegt, berichtet der Betriebsrat vom Verlauf der Personalgespräche: „Tenor: ,Wir planen künftig ohne Sie!’ Hier haben Sie eine Aufhebungsvereinbarung zur Unterschrift, zur Arbeit brauchen Sie ab sofort nicht mehr erscheinen!“ Weiter wurden nach Informationen des Betriebsrates, wie dieser schreibt, „sogar bereits Schlüsselrückgaben eingefordert, ganz so, als wären ,Goldene Löffel’ geklaut worden.“

„... in wenigen Minuten abgekanzelt“

Nicht alle Leitenden seien sofort von ihrer Arbeit freigestellt wurden, teils auch erst per 1.7. oder per 1.9.2016. Der Betriebsrat illustriert die Situation der Personalgespräche: Nach teilweise jahrzehntelanger Treue zum Unternehmen verlasse man als Leitender Angestellter morgens sein Zuhause, werde „ohne jede Vorwarnung (...) in wenigen Minuten abgekanzelt und kehrt nachmittags als Arbeitssuchender zu seiner Familie zurück!“ Auch schwerbehinderten Leitenden gegenüber werde so verfahren – „ohne Einbindung der zuständigen Schwerbehindertenvertretung“.

Quelle: Briefkopf des Rundschreibens des Ergo-Konzernbetriebsrates

Zu der geschilderten Praxis der Ergo liefert deren Betriebsrat die Theorie und berichtet von Gesetzesverstößen. Bei so großen Vorhaben wie der neuen Konzernstrategie, mit der Ergo den Konzern um- und Stellen abbauen will, hat der Betriebsrat gesetzlich ein Beratungsrecht sowie Anspruch auf rechtzeitige und umfassende Information durch das Unternehmen. „Leider müssen wir feststellen, dass es das Management mit der Einhaltung von Gesetzen nicht so genau nimmt“. Der Ergo-Vorstand habe die Arbeitnehmer-Vertreter in den Wirtschafts-Ausschüssen am 1.6.2016, dem Tag der Verkündung der Konzernpläne, „lediglich oberflächlich informiert. Eine Beratung fand dort nicht statt.“

Ebenfalls an diesem Tage erst habe der Konzernbetriebsrat (KBR) den Entwurf eines Interessenausgleichs für den Vertrieb zugeleitet bekommen, „verbunden mit der Aufforderung, ab dem 6.6. jeden Tag für Verhandlungen zur Verfügung zu stehen.“ Davon ausgenommen zwei Tage, an denen der KBR seine turnusmäßige Sitzung abhält. „Auch für diese Interessenausgleichs-Verhandlungen schreibt das Gesetz vor, dass der KBR im Vorwege rechtzeitig zu unterrichten ist, damit er in der Lage ist, auf das „Ob“ und das „Wie“ noch Einfluss nehmen zu können.“

Eine Ergo-Sprecherin äußerte sich auf Anfrage des Versicherungsboten zu den Vorhaltungen des Konzernbetriebsrats: „Die Information und die Beratung der Wirtschaftsausschüsse erfolgten zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Die Arbeitnehmervertreter haben nun die Möglichkeit, sich in den jetzt beginnenden Gesprächen zu den Projekten der Strategie weitergehend zu informieren und zu beraten. Auch haben wir die notwendigen Mitbestimmungsprozesse rund um die strukturellen Veränderungen angestoßen.“

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Das Schreiben des Ergo Konzernbetriebsrats vom 6. Juni 2016 im Wortlaut

"Ergo-Strategie: Vorstand überrumpelt Betroffene auf unerträgliche Weise

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

uns Betriebsräte und auch die Schwerbehindertenvertretungen erreichen nach Bekanntgabe der Planungen durch den ERGO-Vorstand zahlreiche Reaktionen und Anfragen.

Leider müssen wir feststellen, dass es das Management mit der Einhaltung von Gesetzen nicht so genau nimmt, denn schon am Start sind verschiedene Gesetzesverstöße erkennbar. So sind die Wirtschaftsausschüsse der Unternehmen dem Gesetz nach „rechtzeitig und umfassend“ zu beteiligen, was beides bislang nicht geschehen ist. Rechtzeitig bedeutet, dass der Unternehmer noch nicht entschieden hat und für die Argumente der Arbeitnehmer offen ist. Umfassend meint, dass der Wirtschaftsausschuss alle Unterlagen erhält, die für eine sinnvolle Beratung erforderlich sind. Der ERGO Vorstand hat in einer gemeinsamen Zusammenkunft der betroffenen Wirtschaftsausschüsse am 1.6.2016 diese lediglich ober- flächlich informiert. Eine Beratung fand dort nicht statt. Am selben Tag hat der KBR den Entwurf eines Interessenausgleiches für den Vertrieb zugeleitet bekommen, verbunden mit der Aufforderung, ab dem 6.6. jeden Tag für Verhandlungen zur Verfügung zu stehen. Ausgenommen hiervon sind lediglich zwei Tage, an denen der KBR seine turnusmäßige Sitzung abhält. Auch für diese Interessenausgleichs-Verhandlungen schreibt das Gesetz vor, dass der KBR im Vorwege rechtzeitig zu unterrichten ist, damit er in der Lage ist, auf das „Ob“ und das „Wie“ noch Einfluss nehmen zu können.

Im Vertrieb schafft der Vorstand auf (auch rechtlich) fragwürdige Weise Fakten. Am Tag der Strategie-Bekanntgabe und den Folgetagen wurden die Leitenden Angestellten des Vertriebs, die man in Zukunft – aufgrund welches verborgenen Selektionsprozesses auch immer – „nicht mehr benötigt“, informiert. Dabei wurden die Kolleginnen und Kollegen in teils unter zehnminütigen Gesprächen regelrecht abgefertigt.

Tenor: „Wir planen künftig ohne Sie! Hier haben Sie eine Aufhebungsvereinbarung zur Unterschrift, zur Arbeit brauchen Sie ab sofort nicht mehr erscheinen!“

Teils erfolgten die Freistellungen auch per 1.7. oder per 1.9.2016. Man stelle sich das einmal vor: Nach teilweise jahrzehntelanger Treue zum Unternehmen verlässt man als Leitender Angestellter morgens sein Zuhause, wird ohne jede Vorwarnung (und erst recht ohne irgendeine vereinbarte Maßnahme) in wenigen Minuten abgekanzelt und kehrt nachmittags als Arbeitssuchender zu seiner Familie zurück! Auch schwerbehinderten Leitenden gegenüber wird so verfahren – ohne Einbindung der zuständigen Schwerbehindertenvertretung.

Nach unseren Informationen wurden sogar bereits Schlüsselrückgaben eingefordert, ganz so, als wären „Goldene Löffel“ geklaut worden. Viele nennen das vornehm unpartnerschaftlich, die meisten aber nennen das entwürdigend und im höchsten Maße geringschätzend. Zeitgleich dazu erfahren viele Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben, dass ihr Betrieb geschlossen werden soll, Mietverträge bereits gekündigt sind und ihr Leiter bereits freigestellt wurde. Fassungslosigkeit und Entsetzen sind vielerorts die Folge! Im Rahmen seiner Sitzung am 14. Juni wird der KBR auch über rechtliche Möglichkeiten beraten.

Die vom Vorstand dreist geschaffenen Fakten und die von ihm geforderte Terminleiste be- deuten, dass eine gesetzeskonforme Beratung durch die Wirtschaftsausschüsse im Vorwege von Verhandlungen nach Arbeitgeberwillen ebenso unmöglich ist wie eine konsolidierte Meinungsbildung der Gremien. Nach Auffassung vieler Betriebsräte und Schwerbehindertenvertreter verletzt der ERGO Vorstand gezielt und mehrfach das Gesetz durch eine Umsetzung der Maßnahme ohne Interessenausgleich, um Betroffene und Betriebsräte unter Druck zu setzen und sich faktische Vorteile zu verschaffen. Der KBR meint: unerträglicher Stil! Wir haben dem Vorstand heute mitgeteilt, dass wir auf eine ordnungsgemäße Beratung der Maßnahme mit den zuständigen Wirtschaftsausschüssen ebenso bestehen wie auf ein gesetzeskonformes Beteiligungsverfahren. Der KBR wird sich in seiner Sitzung am 14. Juni mit den dann vorliegenden Beratungsständen und Gremien-Meinungsbildern be- fassen und seine weitere Vorgehensweise festlegen. Im Anschluss daran werden wir Sie erneut informieren. Für Verhandlungen im Vorwege dieser Sitzung kann der KBR nicht zur Verfügung stehen.

Wir müssen Sie noch um Geduld in der Frage der Bewertung der Strategieinhalte und der Darstellung betriebsrätlicher Positionen bitten. Natürlich haben wir diese Fragen maximal priorisiert und werden auch mit aller Kraft daran arbeiten, für Sie bessere Lösungen zu erzielen. Dies braucht aber eine – bislang nicht vorhandene – hinreichende Beratungstiefe und -qualität seitens des Vorstands, eine darauf folgende umfassende Bewertung der Strategieinhalte und – Auswirkungen und eine abgestimmte Position der betroffenen Betriebsräte. Vor allem aber ist es unsere dringende Forderung, dass der Vorstand seinen radikalen Kurs, der gegen die eigenen Mitarbeiter gerichtet ist, verlässt und sich auf Augenhöhe mit den Betriebsräten und Schwerbehindertenvertretungen in ergebnisoffene Beratungen be- gibt. Dies alles ist bis heute nicht geschehen! Eine einseitige Vorwegnahme der Maßnahmen und das vor die Tür Setzen der eigenen Führungsmannschaft sind der zu Beginn denk-bar schlechteste Start dafür!

Ihr Konzernbetriebsrat "