Im Juni 2016 startete die Generali ihre Tarifgeneration „Vitality“ in der Berufsunfähigkeitsversicherung auch in Deutschland. Und wollte damit etablieren, was in anderen Ländern wie Italien längst gang und gebe ist. Wer ein gesundheitsbewusstes Verhalten nachweist, Sport treibt, zu Vorsorgeuntersuchungen geht und grundsätzlich um einen gesunden Lebensstil bemüht ist, sollte von günstigeren Prämien profitieren. Hierfür war es notwendig, sich eine App herunterzuladen und regelmäßig entsprechende Daten an den Versicherer zu übermitteln. Wer nicht regelmäßig und termingerecht Daten weitergab, wurde hingegen bei diesen Tarifen so behandelt, als hätte er sich nicht gesundheitsgerecht verhalten: und zwar für alle betroffenen Versicherungsjahre.

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Diese Tarife waren dem Bund der Versicherten (BdV) ein Dorn im Auge. Der Verband hielt mehrere Klauseln für intransparent und sah darin eine Benachteiligung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Weshalb sich die Generali alsbald vor Gericht wiederfand. Die Klage gegen den Versicherer war bisher erfolgreich: Sowohl das Landgericht München (AZ: 12 O 8721/20) als auch das Oberlandesgericht München als Berufungsinstanz werteten die bestandenen Klauseln als intransparent. Doch nun geht der Rechtsstreit in die nächste und voraussichtlich letzte Runde: der Bundesgerichtshof (BGH) wird über die Klauseln am 12. Juni 2024 entscheiden. Das teilt Deutschlands oberstes Zivilgericht per Terminhinweis mit. Die Sache wird unter unter dem Aktenzeichen IV ZR 437/22 geführt.

Wie genau errechnet sich der Überschuss?

Warum aber geht der BdV gegen diese Tarife vor? Stark vereinfacht orientiert sich am sogenannten Vitality-Status der versicherten Person, welche der ermittelten Überschussanteile der Versicherer gutschreibt, um die Prämie zu senken. Wie aber genau dies passiert, lassen die beanstandeten Klauseln in den Verträgen im Unklaren, wenn man den Argumenten des BdV folgt. Und das funktioniert auch in die andere Richtung: Verhält sich die versicherte Person wenig gesundheitsbewusst, werden ihr weniger Überschüsse gutgeschrieben. Im Vertragstext heißt es unter anderem:

Die Überschussanteile Ihrer Versicherung können steigen, wenn die versicherte Person durch sonstiges gesundheitsbewusstes Verhalten einen entsprechenden … Vitality Status erreicht, wodurch der Nettobeitrag sinken kann. Umgekehrt können die Überschussanteile Ihrer Versicherung aber auch sinken, wenn die versicherte Person sich weniger sonstig gesundheitsbewusst verhält und einen diesem Verhalten entsprechenden … Vitality Status erhält, wodurch der Nettobeitrag steigen kann. Der Nettobeitrag ergibt sich aus dem um die Überschussanteile reduzierten Betrag. Einzelheiten hierzu, insbesondere zu den von dem … Vitality Status abhängigen jährlichen Zu- oder Abnahmen Ihres Nettobeitrages, sowie zu den in jedem Versicherungsjahr geltenden Grenzwerten und Bezugsgrößen finden Sie in unserem jährlichen Geschäftsbericht; diese Werte werden jährlich im Rahmen der Überschussdeklaration neu festgesetzt“.

Hier folgten die bisher urteilenden Gerichte weitestgehend der Argumentation des BdV. Für durchschnittliche Versicherungsnehmer ergeben sich demnach keinerlei Anhaltspunkte, nach denen sie nachvollziehen können, wie sich ihr Verhalten bei Programmteilnahme auswirkt und wie es die Überschussanteile beeinflusst; die beanstandete Klausel zur Berücksichtigung „sonstigen gesundheitsbewussten Verhaltens“ im Rahmen der Überschussbeteiligung verstoße deshalb gegen das Transparenzgebot.

Die andere beanstandete Klausel besagt, dass sofern der Versicherer „keine termingerechte Information über das sonstige gesundheitsbewusste Verhalten“ erhält, der Vertrag so behandelt wird, als hätte sich die versicherte Person nicht „sonstig gesundheitsbewusst verhalten“. Auch hier teilten die Gerichte die Ansicht des BdV, dass die Klausel die Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligt, da sie das Übermittlungsrisiko generell auf sie überträgt – auch dann, wenn der Versicherer die Nichtübermittlung selbst zu vertreten hat. Sind hier der Generali auch handwerkliche Fehler vorzuwerfen? Wer die deutsche Rechtssprechung verfolgt, wird feststellen, dass vage Formulierungen regelmäßig zugunsten des Versicherungsnehmers gewertet werden.

Wie weit gehen Pay-as-you-live-Tarife?

Nach dem ersten Urteil hatte der BdV in einem Statement grundsätzliche Kritik an sogenannten Pay-as-you-live-Tarifen geäußert: Tarife also, die das individuelle Verhalten der Person bei der Prämie laufend berücksichtigen. Aus Sicht des Verbandes werden damit Risikokollektive in der Berufsunfähigkeitsversicherung weiter verbraucherschädlich verkleinert. Ohnehin regt sich seit Jahren Kritik an der Branche, weil in der BU die Berufsgruppendifferenzierung immer kleinteiliger wird: vor allem zu Lasten von Risikoberufen, die nur schwer bezahlbaren Schutz finden - wenn überhaupt.

„Wir hoffen, dass die Versicherungswirtschaft dieses Urteil als Signal erkennt und es künftig unterlässt, in Personenversicherungen das individuelle Verhalten einzelner Versicherter bei der Prämienkalkulation in irgendeiner Weise zu berücksichtigen“, sagte im Februar 2021 der damalige Vorstandssprecher des BdV, Axel Kleinlein. Er hat das Amt mittlerweile abgegeben.

Die Generali hingegen argumentierte, die Klage richte sich nicht direkt gegen den Telematik-Tarif, sondern der BdV habe lediglich zwei Teilklauseln des Vertrages herausgegriffen. Man leiste mit dem Tarif „einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag“, weil man tausende zufriedene Kunden „zu einem gesundheitsbewussten und gesünderen Leben motivieren“ könne, hatte sich der Versicherer bei der Einführung des Tarifs positioniert. Weltweit würden derzeit rund 5 Millionen Menschen die "Vitality"-App nutzen.

Beispiele aus anderen Ländern zeigen aber auch, wie weit die Praxis gehen kann. So hatte der US-amerikanische Versicherer John Hancock 2018 angekündigt, im Neugeschäft nur noch Lebensversicherungen anzubieten, für die sensible Gesundheitsdaten der Kundinnen und Kunden erhoben werden. Wenn dies auf einzelne Versicherer beschränkt bleibt, haben potenzielle Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmer noch die Wahl. Im Hintergrund steht aber die Sorge, dass in ferner Zukunft auch deutsche Krankenversicherer die Überwachung des Gesundheitsverhaltens zur Pflicht machen könnten - branchenweit.

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