Inwieweit ein Finanzmarktwächter sinnvoll wäre, welche Zuständigkeiten er haben müsse und eine Vertretung der Interessen der Verbraucher gewährleistet sein könne, wurde gestern in Berlin diskutiert. Die Experten waren sich in der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz über die Etablierung eines solchen Wächters uneinig, berichtet die Pressestelle des Bundestags.

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BaFin im Interessenkonflikt?

Michael Sell von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) begrüßte, dass der Wächter nach den Plänen der Grünen nicht an die BaFin angebunden werden soll. Die Finanzdienstleistungsaufsicht sei nur im kollektiven Verbraucherschutz tätig, der Wächter habe eine parteiische Rolle, welche die BaFin nicht erfüllen könne. Wegen der Funktion, die Verbraucher zu schützen auf der einen, einer halbstaatlichen Kontrollfunktion auf der anderen Seite befürchtete Sell daher einen Interessenkonflikt beider Institutionen.

Zweifel am Zusatznutzen, der durch einen Finanzmarktwächter entsteht, äußerte Gerhard Hoffmann vom Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken: „Es gab bereits weitreichende gesetzliche Änderungen in den letzten Jahren.“ Dass Interessensvertretungen wie die Verbraucherzentralen Funktionen übernehmen sollen, die der „hoheitlichen Aufgabe der Überwachung entsprechen“, lehnte der Experte ab: „Das kann zu enormen Haftungsrisiken führen.“

Die BaFin sei für die Zukunft genügend gestärkt, auch die Interessen der Verbraucher in Fragen der Finanzdienstleistung zu schützen, argumentierte Herbert Jütten vom Bundesverband Deutscher Banken. „Die BaFin erhält alle Kundenbeschwerden und kann entscheiden, ob sie sich Berater, über die Beschwerden vorliegen, ansieht“, so Jütten, „wir brauchen keine weitere Einrichtung, die Kundenbeschwerden nachgeht.“

Verbraucherschutz: Finanzmarktwächter kein Finanz-TÜV

Das sah Stephan Kühnlenz von der Stiftung Warentest anders: „Jede Maßnahme, die dem Schutz der Verbraucher dient, ist gut.“ Seiner Ansicht nach muss neben der Bereitstellung von Tests den Verbrauchern die Möglichkeit geboten werden, Missstände anzuzeigen.

Auch Gerd Billen erachtet die Ausweitung des Verbraucherschutzes für notwendig: „Finanzprodukte werden heute überall und bei jeder Gelegenheit angeboten.“ so der Vorstand der Verbraucherzentrale Bundesverband: Sowohl in Bäckereien als auch bei Fußballspielen werde offensiv für Geldanlagen geworben. „Und viele Menschen kommen in die Rechtsberatung der Verbraucherschutzorganisationen, weil sie unzufrieden sind.“ Entsprechend fordert er eine neue Architektur im Bereich der Finanzaufsicht und der Finanzmarktbeobachtung. „Dafür braucht der Finanzmarktwächter keine hoheitlichen Aufgaben“, entgegnete er Vorrednern wie Gerhard Hoffmann und Herbert Jütten.

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„Eine Ratingagentur für Verbraucher und Anbieterprodukte können wir uns nicht leisten, [...] aber die Verbraucher brauchen solch ein Angebot.“ Billen merkte an, dass es in dieser Frage nicht um einen Finanz-TÜV gehe, denn auch risikoreiche Produkte würden zu bestimmten Anlegern passen. „Das Risiko muss ihnen nicht abgenommen werden.“

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Grüne fordern Finanzmarktwächter

Versicherungen sind am meisten verbreitete Geldanlage - Versicherer in der Pflicht, Verbraucher in Eigenverantwortung

Die am meisten verbreitete Geldanlage in Deutschland sind Versicherungen - und damit zugleich jene, die die größten Schäden verursachen, weil drei von vier Versicherungsnehmern vorzeitig ausstiegen, argumentiert Günter Hörmann von der (Verbraucherzentrale Hamburg). Deshalb dürfe der Fokus nicht nur auf den Anleger gelegt werden, auch die Anbieter seien in der Pflicht. „Der Finanzmarktwächter ist als eine zivilgesellschaftliche Institution zu verstehen, der Anbieter kontrolliert.“ Die Anlehnung an Verbraucherschutzorganisationen wäre daher sinnvoll: In diesen Organisationen würden Tag für Tag die Probleme der Verbraucher auf den Tisch gelegt.

Doch letztlich entscheidet der Verbraucher, welches Produkt er kauft. Die Märkte würden nicht lediglich durch Unternehmen determiniert werden, so Jürgen Keßler (Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin). Entgegen einer dadurch „passiven Verbraucherrolle“ forderte er, statt einem Wächter die Aufgabe des Schutzes der Verbraucher anzuvertrauen, die Markttransparenz zu verbessern und den Verbrauchern selbst mehr Stimmgewalt zu geben.

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Der Staat sei grundsätzlich in der Pflicht, mehr in die Verbraucherforschung zu investieren, so Achim Tiffe vom Institut für Finanzdienstleistungen Hamburg. Regelmäßige Berichte zur tatsächlichen Situation der Verbraucher existierten nicht. Bei der BaFin und Verbraucherzentralen wäre für den Verbraucher nicht nachvollziehbar, was mit einer Beschwerde passiert. Grundsätzlich sei es problematisch, dass der Verbraucherschutz nicht in der BaFin und in den Verbraucherzentralen gesetzlich verankert ist.

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