Am Freitag (31.07. 2020) hat die auf Versicherungsrecht spezialisierte 12. Zivilkammer des Landgerichts München I die ersten vier Verfahren von Gaststätten und einer Kindertagesstätte gegen ihre Betriebsschließungsversicherungen mündlich verhandelt (Az. 12 O 7241/20, 12 O 7208/20, 12 O 5868/20 und 12 O 5895/20). Damit startet eine spannende Prozessreihe in der bayerischen Landeshauptstadt. Denn allein in München müssen 39 Klagen von Gewerbetreibenden gegen ihren Versicherer verhandelt werden. Alle Verfahren haben eines gemein: Die Gewerbetreibenden hatten jeweils einen Schutz gegen Betriebsschließungen abgeschlossen und ihr Versicherer verweigert ihnen nun die Leistung. Vor dem LG München ist nun nicht weniger zu klären als die Grundsatzfrage, wann und unter welchen Voraussetzungen die Assekuranzen für Schäden der Corona-bedingten Betriebsschließungen leisten müssen.

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Insbesondere die Versicherer mit mehrdeutigen Klauseln müssen zittern. Denn Versicherungsbedingungen müssen so ausgelegt werden, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse verstehen würde.

Die bisherigen Urteile am Landgericht Mannheim, am Landgericht Bochum und am Oberlandesgericht Hamm zeigten bereits, dass es keine pauschale Antwort gibt und dass jeder Fall seine Eigenheiten hat. Während die Vertragsbedingungen beim Mannheimer Rechtsstreit eine abschließende Liste enthielten und damit eine "bedingungsgemäß versicherte faktische Betriebsschließung" vorliege, war in den Bedingungen der Betriebsschließungsversicherung im Bochumer Prozess eine abschließende Liste mit Krankheiten und Erregern fixiert. In den AVB, die vom OLG Hamm unter die Lupe genommen worden, war der Wortlaut entscheidend. Denn der Wortlaut „nur die im Folgenden aufgeführten (vgl. Paragraphen 6 und 7 IfSG)“ und die anschließende ausführliche Auflistung einer Vielzahl von Krankheiten und Erregern mache dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass der Versicherer nur für die benannten, vom Versicherer einschätzbaren Risiken einstehen wolle.

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Die Klagen von drei Gastwirten sowie einer Münchner Kindertagesstätte, die am Freitag vor dem LG München verhandelt wurden, sind unterschiedlich zu bewerten. „Im Einzelfall kommt es daher darauf an, ob dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer einer Betriebsschließungsversicherung nach der Formulierung in den Versicherungsbedingungen hinreichend klar ist, dass der Versicherungsschutz im Verhältnis zu den Regelungen des Infektionsschutzgesetzes lückenhaft ist.“, sagte die Vorsitzende Richterin Susanne Laufenberg.

Auf die Formulierung der Versicherungsbedingungen kommt es an

Grundsätzlich hielt es die Kammer für unproblematisch, dass die Schließungen aufgrund einer Allgemeinverfügung oder Verordnungen des zuständigen bayerischen Ministeriums erfolgten. Die Schließung war nicht vom Gesundheitsamt und damit nicht von der eigentlich zuständigen Behörde angeordnet worden. Die bayerische Regierung hatte die Schließungen angeordnet. Auch dass die Betriebe präventiv geschlossen worden, ohne das Corona-Fälle vorgelegen hätten, sei für das Leistungsverhalten irrelevant. "Da steht nirgends, dass der Betrieb selbst betroffen sein muss.", erklärte die Richterin. Einen weiteren Einwand der Versicherer hielt die Juristin ebenfalls für nicht haltbar. Diese hatten argumentiert, dass die Entschädigung nicht höher als der tatsächliche Schaden sein dürfe. "Tagessatz ist Tagessatz. Die Versicherung würde ja auch nicht mehr bezahlen, wenn der Schaden höher wäre.", zitiert die "Süddeutsche" die Richterin.

Ob im Einzelfall Ansprüche bestünden, hänge davon ab, wie die Versicherungsbedingungen genau formuliert sind, was man unter „Schließung“ verstehe und wie hoch der Schaden ist. In allen Versicherungsbedingungen seien einzelne Krankheiten und Infektionen aufgezählt, für die der Versicherungsschutz gelten soll. Diese deckten sich jedoch teilweise nicht mit der Aufzählung des Infektionsschutzgesetzes. Außerdem enthält das Gesetz eine Klausel für unbenannte gefährliche Erreger. Diese ist in den Versicherungsbedingungen nicht enthalten.

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Im Rechtsstreit mit dem Münchener Versicherer Allianz könnte der Gastwirt vom Tatzlwurm in Oberaudorf Erfolg mit seiner Klage haben, schreibt "Legal Tribune Online". Demnach sei das Vertragswerk der Allianz "intransparent", zitiert das Online-Magazin für Juristen die Richterin. In den Bedingungen sei ein Hinweis auf das Infektionsschutzgesetz sowie eine Liste versicherten Krankheiten verankert. Diese Liste beinhaltete aber nicht alle Krankheiten und Erreger aus dem Infektionsschutzgesetz. Covid-19 war ebenfalls nicht in der Liste genannt und damit laut Allianz nicht versichert. Da sich die beiden Listen aber unterschieden, könne es dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht klar sein, was gedeckt ist. Schließlich müssten Kunden jeweils erkennen können, wofür Versicherungsschutz besteht beziehungsweise ob möglicherweise eine Deckungslücke bestehe.

Voraussichtlich nicht leisten müsse die Haftpflichtkasse. Hier hatte eine Münchner Kindertagesstätte geklagt. Jedoch sei diese, ob der Notbetreuung für "systemrelevante" Eltern, nicht wirklich geschlossen gewesen. "Von den Versicherungsbedingungen ist das nicht gedeckt", sagte Richterin Laufenberg dazu, schreibt "LTO".

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Das Ausflugslokal „Tatzlwurm“ fordert von der Allianz 236 000 Euro. Im besagten Streitfall sind laut Vertrag der Allianz Betriebsschließungen nach dem Infektionsschutzgesetz zwar abgedeckt. Doch zur Liste der Krankheiten, die die Grundlage des Versicherungsvertrags bilden, gehört Covid-19, als neue Diagnose, nicht. Deshalb lehnt die Allianz eine Zahlung auch ab und verweist auf den konkreten Bezug in den AVB zum Infektionsschutzgesetz: nicht aufgelistete Krankheiten sind nicht versichert. Fakt ist jedoch auch, dass die Allianz zwar einen Verweis auf das Infektionsschutzgesetz setzt, aber nicht alle dort erwähnten Krankheiten aufführt. Zusätzlich zum falschen Zitat wäre noch zu berücksichtigen: Im Infektionsschutzgesetz steht geschrieben, dass auch „nicht namentlich genannte gefährliche Erreger“ meldepflichtig sind.

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