Referentenentwurf zum Provisionsdeckel zeigt „gravierende Fehlinterpretation“

Bisher kursierte er nur inoffiziell: Der aktuelle Referentenentwurf zum umstrittenen Provisionsdeckel in der Lebensversicherung mit Bearbeitungsstand vom 14.06.2019 (der Versicherungsbote berichtete). Doch obwohl die Version noch nicht "amtlich" ist, lässt sie mehr als bisher an den Motiven der Gesetzreform zweifeln. Eine „gravierende Fehlinterpretation“ von Daten nämlich aus der Evaluierung des Lebensversicherungsreformgesetzes provoziert die Frage: Sind Annahmen, auf denen das Vorhaben beruht, überhaupt richtig? Die mögliche Fehlinterpretation wurde nun durch den Branchendienst „versicherungstip“ aufgedeckt.

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Bereits der Titel des „Entwurfs eines Gesetzes zur Deckelung der Abschlussprovision von Lebensversicherungen und von Restschuldversicherungen“ nämlich deutet ein Problem an, das der Gesetzgeber eigentlich berücksichtigen sollte: Das Gesetz wirft für die Deckelung Produktgruppen in einen Topf, für die gänzlich verschiedene Bedingungen gelten. Und im Schnitt auch unterschiedlich hohe Provisionen gezahlt werden.

Restschuldversicherung (RSV): Vertriebsbedingungen verursachen Provisionsexzesse

So ergab die "Marktuntersuchung Restschuldversicherungen“ der BaFin mit Stand vom 21.06.2017: Mehr als 50 Prozent der Versicherungsprämie zahlen viele Versicherer in Deutschland an Banken für die Vermittlung einer Restschuld-Police. Vereinzelt werden sogar mehr als 70 Prozent als Provision gezahlt (der Versicherungsbote berichtete). Dass bei solchen Provisionshöhen das Provisionsgeschäft schnell zum Selbstzweck wird, veranschaulichte der „PPI-Skandal“ in Großbritannien – als bekannt wurde, dass britische Banken ihren Kunden reihenweise überteuerte und nutzlose Policen verkauften, um sich an hohen Provisionen zu bereichern. Ein teilweises Provisionsverbot auf der Insel war die Folge.

Fehlentwicklungen im Bereich der Restschuldversicherung begründen sich jedoch durch besondere Vertriebsbedingungen, da die Produkte überwiegend bei Kreditabschluss vertrieben werden. Dass für den Markt hier Regulierungsbedarf besteht, ist über Parteigrenzen hinweg Konsens (der Versicherungsbote berichtete).

Lebensversicherungsprodukte mit Sparanteil: Bescheidenheit in Krisenzeiten?

Wie aber verhält es sich mit Produkten der Lebensversicherung mit Sparanteil? Fakt ist: Das Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) vom 1. August 2014 hatte das ausdrückliche Ziel, die Abschlusskosten just dieser Produkte in Zeiten des Niedrigzins zu senken. So wurde zum Beispiel der Höchstzillmersatz ab dem 1. Januar 2015 von 40 auf 25 Promille abgesenkt – Bedingungen regelt Paragraph 4 der Deckungsrückstellungsverordnung (DeckRV).

In der Tat sinken durch derartige Maßnahmen seitdem die Abschlusskosten – jedoch aus Sicht des Bundesministerium der Finanzen nicht so stark, wie es wünschenswert wäre. Deswegen empfahl der Evaluierungsbericht des Bundesministeriums der Finanzen ja mit Stand vom Juni 2018 auch ausdrücklich, „einen gesetzlichen Provisionsdeckel“ einzuführen, um „etwaigen Fehlanreizen“ entgegenzuwirken und die „weitere Senkung der Abschlusskosten“ zu unterstützen.

Folgt man nun jedoch dem Vorwurf des Branchendienstes „versicherungstip“, wurde bei dieser Einschätzung mit den Daten Schindluder getrieben. Denn wenn zum Beispiel für Makler und Mehrfachvermittler eine Verringerung der Abschlusskosten seit Einführung des LVRG von nur 7,21 Prozent festgestellt wird, stellt sich aktuell die Frage: Beeinflusste die Restschuldversicherung die schlechte Bilanz, obwohl die Erhebung doch eigentlich andere Produkte, nämlich Lebensversicherungsprodukte mit Sparanteil, ins Blickfeld holen sollte?

Haben BaFin und BMF bewusst die Wahrnehmung getrübt?

Laut Verdacht des Branchendiensts wollten BaFin und BMF den Unterschied zwischen Bedingungen der Lebensversicherung und der Restschuldversicherung gar nicht so genau beantwortet haben. In der Folge käme es nun zu jenen „gravierenden Fehlinterpretationen“ der Daten, wie sie Seite 35 des aktuellen Gesetzentwurfs zum Provisionsdeckel mit Stand vom 14.06.2019 bezeugt.

Der Fehler geschieht an zentraler Stelle: Eine Tabelle und eine erläuternde Erklärung sind Teil der „Begründung“ des aktuellen Gesetzentwurfs. In der Tabelle werden die vermeintlich „niedrigsten und höchsten in Rechnung gestellten Provisionen“ dargestellt. Daten erscheinen als Prozentwerte der Beitragssumme. Sie werden außerdem getrennt ausgewiesen für die Vertriebswege „Ausschließlichkeit“ (AO), „Mehrfachvermittler“, „Makler“ und „Angestellter Außendienst“. Jedoch: Was die Zahlen wirklich angeben, scheinen die Verfasser des Entwurfs schlicht nicht zu wissen.

So sind für die Ausschließlichkeit 9,03 Prozent der Beitragssumme als Maximalwert angegeben, für Mehrfachvermittler gar 10,76 Prozent der Beitragssumme. Ausgewiesen sind die Zahlen, wenig spezifisch, als Maximalwerte. Argumentiert wird über die Differenz, um die Notwendigkeit des Deckels zu begründen. Würden doch, je nach Vertriebsweg, die Provisionen „zwischen 0,17 Prozent und 10,76 Prozent der Beitragssumme in der Spitze … schwanken“. Der Branchendienst schreibt: „Ein AO-Vertrieb, der zusätzlich zu den Zuschüssen noch satte 9,03 Prozent Abschlussprovision erhält? Ein Mehrfachvermittler-Vertrieb, der fast 11 Prozent einsacken soll? Das sind uns jedenfalls unbekannte Provisionshöhen. Daher baten wir die BaFin um Stellungnahme.“

Heraus kam Überraschendes: Keineswegs handelte es sich um Maximalwerte je Vertriebsweg, weswegen die der Tabelle beigegebenen Erklärungen im Gesetzentwurf schlicht falsch sind. Stattdessen handelt es sich um Durchschnittswerte jeweils einzelner Versicherer: Die Werte beziehen sich jeweils nur auf ein Unternehmen. Angegeben wird der höchste Prozentwert, den ein Unternehmen als Durchschnitt für seine Provisionszahlungen meldete. Das bedeutet, vereinzelt werden noch höhere Provisionen von bis zu 30 Prozent gezahlt.

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Nun könnte man freilich argumentieren: Im Gesetzentwurf wurden fälschlicherweise niedrigere Maximalwerte ausgewiesen, als die Versicherer tatsächlich zahlen: die Situation würde sich also positiver im Sinne des Kunden darstellen, als sie tatsächlich ist. Ein Fehler, der zunächst den Gegnern des Deckels nutzen würde. Wenn es sich nämlich um Durchschnittswerte handelt, bedeutet dies auch: Für die erfassten Vertriebswege werden zum Teil sogar wesentlich höhere Provisionen als von 10,76 Prozent der Beitragssumme gezahlt. Jedoch: Auf den zweiten Blick schaden solche Ungenauigkeiten vor allem jenen, die sich gegen den Provisionsdeckel aussprechen.

Verdacht: Hohe Durchschnittswerte bei Restschuld-Versicherern

Das Problem: Im Gesetzentwurf wird ein Detail nicht berücksichtigt, das die Lebensversicherer möglicherweise vor dem Vorwurf exorbitant hoher Provisionen entlastet: zumindest mit Blick auf kapitalbildende Altersvorsorge-Produkte. Geben doch besonders jene Versicherer hohe Abschlussprovisionen je Vertriebsweg an, die „RSV-Spezialist“ sind oder bei denen „zumindest RSV einen relevanten Anteil“ am Gesamtgeschäft hat, so will "versicherungstip" beobachtet haben. Anders ausgedrückt: Die aus Sicht des Ministeriums negativen Werte verdanken sich vielleicht einzig der Restschuldversicherung, wo eben besonders hohe Vergütungen gezahlt werden.

Dieses Detail lässt aufhorchen. Nicht nur wissen die Verantwortlichen für den Gesetzentwurfs nicht, was die Zahlen bedeuten – was schon beängstigend genug wäre bei einem Gesetz, das tief in den Markt eingreift. Weit schlimmer: Da nicht verstanden wird, wie die Zahlen überhaupt zustande kommen, kann auch nicht vernünftig gefragt werden, wie sich die Zahlen überhaupt errechnen.

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Spiegelt sich in diesem Problem ein grundlegender methodischer Mangel der gesamten Evaluierung wider? Laut Branchendienst muss davon ausgegangen werden. So ergab eine Anfrage bei der BaFin, dass die Versicherer für die Evaluierung des Lebensversicherungsreformgesetzes zwar angeben mussten, “welche Abschlussprovisionen gemessen an den Bruttobeitragssummen an Versicherungsvermittler aus dem Neugeschäft des Jahres 2017 gezahlt bzw. in Aussicht gestellt wurden“. In die Zahlen flossen allerdings auch die Provisionen für die Restschuldversicherung komplett ein. Wie (und ob überhaupt) jedoch die BaFin das daraus entstehende Problem fehlender Aussagekraft für viele Produkte der Lebensversicherung bedachte, lässt sich nach jetzigem Stand nicht klären. Ebenso wenig lässt sich klären, wie die Abstimmung zwischen BaFin und Bundesministerium der Finanzen (BMF) beim Austausch der Daten erfolgte.

BaFin widerspricht eigener Angabe

Mehr noch: Die stets Transparenz einfordernde BaFin wird selbst nebulös, wenn Sie zur Erhebung ihrer Daten Angaben liefern soll. Zwar hätte man „bei Zusammenstellung der Daten“ berücksichtigt, „welche Versicherer Restschuldversicherungen in einem wesentlichen Umfang vertreiben“, erwiderte die Behörde auf Nachfrage des Branchendienstes. Wie jedoch diese Berücksichtigung konkret erfolgt ist, dazu will sich die BaFin laut Branchendienst nicht weiter äußern.

Hinzu kommt: Eine Fußnote im Evaluierungspapier widerspricht direkt der Darstellung der BaFin. Denn just jener Teil des Evaluierungsberichts, der Vergütungen vor und nach dem LVRG vergleicht, erwähnt anhand einer Fußnote: „Die Angaben im Text beziehen sich auf die im Jahr 2017 geleisteten Zahlungen an Vermittler insgesamt.“ Hingegen findet sich nicht eine Angabe, die darlegt, man wäre methodisch auf die Unterschiede zwischen der Vergütung der Restschuldversicherung und der Vergütung anderer Produkte eingegangen. Das Fehlen solcher Hinweise trifft nicht nur für den Evaluierungsbericht, sondern auch für weitere Schriftstücke zu – genannt sei eine Antwort der Bundesregierung vom 10. Mai (Drucksache 19/10059) auf eine kleine Anfrage der FDP – die erstmals jene maßgebenden Zahlen der BaFin für den Evaluierungsbericht präsentierte, die nun so grundlegend fehlgedeutet wurden.

Steckt aber hinter solchen methodischen Ungenauigkeiten auch Methode? Zumindest in der Möglichkeitsform äußert der Branchendienst auf seiner Webseite nun den Verdacht: „Wenn das SPD-geführte BMF" die Daten „wissentlich falsch interpretiert“ hätte, „um die Notwendigkeit eines LV-Provisionsdeckels vorzugaukeln“, dann wäre das "ein politischer Skandal“.

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Denn eine Erhebung, die besser zwischen verschiedenen Produktgruppen differenzieren würde, ergibt eventuell einen ganz anderen Befund als den aktuellen: Zwar bestätigt sich mit großer Wahrscheinlichkeit der Handlungsbedarf für die Restschuldversicherung. Jedoch: Ob mit gleicher Wahrscheinlichkeit ein Regulierungsbedarf bei Lebensversicherungsprodukten mit Sparanteil geboten wäre, muss nach jetzigem Stand zum Teil als unbeantwortet gelten.

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