Liest man Ergebnisse des neuen „Branchenkompass Insurance 2019“, den die IT-Beratungsgesellschaft Sopra Steria Consulting zusammen mit dem F.A.Z.-Institut erstellte, meint man, die Studienmacher hätten sich für ihre Studien-Interviews auf eine große digitale Baustelle begeben. Diesen Eindruck erwecken sowohl Herausforderungen, die durch die Führungskräfte der Branche benannt werden, als auch Projekte, an denen die Unternehmen momentan arbeiten. „Digitalisierung“ ist das große Schlüsselwort, das seit Jahren einen Hype erfährt, aber ohne Differenzierung kaum eine Aussagekraft besitzt. Die Versicherer freilich stecken Milliarden in Digitalprojekte, aus Angst, den technischen Anschluss zu verpassen — das bei gedämpfter Euphorie.

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Innovationen: Die Hälfte erwartet Mehrkosten statt Gewinn

Die angeschobenen Veränderungen lassen sich aus Sicht der Entscheider mehr als Dienst am Kunden denn als Dienst am großen Geschäft interpretieren. Statt dass die Unternehmen Treibende bei Innovationen sind, wirken sie demnach eher wie Reagierende auf ein schon verändertes Umfeld. Das zeigt eine Antwort besonders deutlich: Mit 46 Prozent der Befragten meint fast die Hälfte aller befragten Führungskräfte, die Innovationen kosten in den kommenden Jahren mehr, als sie einbringen.

Für den digitalen Kundendienst haben die Unternehmen auch bereits einiges getan, weswegen sich die skeptische Prognose zu den Kosten der Innovationen eventuell auf diese Erfahrung stützt: 54 Prozent aller Befragten gaben an, dass bereits eine zentrale digitale Kundendatenbank im Einsatz ist, 37 Prozent der Unternehmen bieten zudem Versicherungs-Apps und ebenfalls 37 Prozent ein Self-Service-Portal an. Und immerhin 20 Prozent der Unternehmen ermöglichen schon eine Online-Beratung per Video.

Keineswegs aber gilt die Kosten-Skepsis, die sich für das Gesamtfeld aller Innovationen offenbart, auch für alle Teilbereiche. Denn aus Sicht der Führungskräfte gibt es durchaus auch „sehr großes oder großes Kostensparpotenzial“, das direkt aus der Digitalisierung erwächst. Sehen doch 64 Prozent der Befragten ein solches Potenzial für das Melden von Schäden über Online-Kanäle. Auch sprechen 58 Prozent der Führungskräfte ganz allgemein der „Automatisierung“ ein Sparpotenzial zu. Und 43 Prozent der Befragten sehen großes Kostensparpotenzial in der Betrugserkennung durch Künstliche Intelligenz.

Die Branche greift nach den Wolken

Für die Zukunft aber greift die Branche nach den Wolken: 40 Prozent der Unternehmen arbeiten derzeit an Cloud-Lösungen und damit an jenen Anwendungen „out of the box“ und unabhängig von der bestehenden Systemlandschaft, um das eigene Geschäft zu optimieren und Kundenbedürfnisse zu befriedigen – Top-Antwort und damit „Top-IT-Projekt“ der Studie. Beim letzten Kompass, der vor zwei Jahren erstellt wurde, arbeiteten mit 32 Prozent noch auffallend weniger der teilnehmenden Unternehmen an einer solchen Lösung.

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Hauptgrund, eine Cloud-Lösungen umzusetzen: „Mehr Tempo“. 40 Prozent jener Befragten, die an einer solchen „out of the box“-Lösung arbeiten, gaben das Tempo als Ursache an. Immerhin 33 Prozent der „Cloud-Gruppe“ erhoffen zudem, durch Cloud-Lösungen Kosten zu sparen. Und 31 Prozent erhoffen eine Verringerung des „Compliance-Aufwands“.

Top-Herausforderung: Datensicherheit

Gefragt nach den Top-Herausforderungen, steht die Digitalisierung direkt an zweiter, indirekt aber sogar an erster Stelle. Denn als Spitzenreiter der Studie muss mit 72 Prozent Nennungen (bei möglichen Mehrfachnennungen) gelten: Die Datensicherheit und der Datenschutz, die ja aus der digitalen Wende resultieren. Auf Rang zwei der Antworten prunkt sie nun aber höchstselbst, genannt von 68 Prozent der Befragten: die Digitalisierung. Und auf Rang drei kommen, mit immerhin jeweils 67 Prozent Nennungen, zwei Plagegeister für viele aus der Branche: Das „anhaltende Niedrigzinsniveau“ sowie das Themenfeld „Neue Regulierungen und Compliance“.

Wachstumsmotor „Cyber"

Wie aber will die Branche wachsen? Und in welchem Produkt wittert sie hierfür das große Potenzial? Top-Wachstumsstrategien kombinieren Altes mit Neuem. Denn Wachstum soll erreicht werden durch „Verbesserung der Servicequalität“ – 76 Prozent der Befragten entscheiden sich für diese Antwort als Wachstumsstrategie. Für den Service freilich spielen Prozesse der Digitalisierung wie Cloud-Lösungen eine zentrale Rolle. Ebenfalls 76 Prozent setzen zudem auf den Gewinn von Neukunden. 72 Prozent sehen in Innovationen bei Produkten und Services hohes Wachstumspotenzial.

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Auf welchen Produkten liegen hierfür die größten Hoffnungen in den nächsten fünf Jahren? Die meisten Befragten antworteten für die Cyber-Security-Versicherungen – 41 Prozent sehen in diesen Produkten einen Wachstums-Motor. "Produktbündelungen" nach Themen sowie auch "komplett digitale Produkte" halten 39 Prozent der Befragten für aussichtsreich: diese Antwortmöglichkeiten teilen sich die zweite Stufe des Siegertreppchens. Auf Rang drei der Antworten stehen Assistance-Produkte. 37 Prozent der Befragten sehen für diese Produkte Wachstumspotenzial.

Insurtechs werden zu Partnern und Plattformen

Und wie steht die Branche zu den Insurtechs, die neue digitale Lösungen für den Versicherungsbereich entwickeln, damit aber auch Versicherern und Vermittlern Konkurrenz machen? Folgt man dem Vorwort zum aktuellen Kompass, lässt sich eine solche Konkurrenz eigentlich gar nicht mehr mit großer Selbstverständlichkeit behaupten. Denn immer mehr Insurtechs übernehmen die Funktion einer Plattform für Versicherer und Vermittler, zudem nimmt ebenfalls die Zusammenarbeit traditioneller Versicherer mit den jungen Unternehmen zu. Und doch: Antworten der Studie werfen gegenüber solchen Tatsachen ein widersprüchliches Bild.

Zwar: Immerhin 40 Prozent der Befragten werten eine Zusammenarbeit mit Insurtechs als „nützlich“. Und doch legt die Umfrage zugleich nahe: Statt als Partner oder Plattform werden Insurtechs noch immer als Konkurrenz wahrgenommen, sogar mit zunehmender Intensität. Werten doch 59 Prozent der Befragten Insurtechs aktuell als „große Herausforderung“ – der Prozentwert für diese Antwortmöglichkeit lag vor zwei Jahren (und damit im vorhergehenden Kompass) hingegen bei nur 42 Prozent.

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Hintergrund:

Der „Branchenkompass Insurance 2019“ wurde in zwei Schritten erstellt, um aufzuzeigen, welchen Weg die Branche aus Sicht der Führungskräfte geht: Auf Initiative der Beratungsgesellschaft Sopra Steria und der F.A.Z.-Verlagsgruppe diskutierten Fach- und Führungskräfte der Versicherungsbranche in einem Think Tank die Trends und Herausforderungen der Branche. Auf Basis der Diskussionen wurden sodann Fragen entwickelt, die in einem zweiten Schritt einhundert Führungskräften aus der Versicherungsbranche für Online-Interviews vorgelegt wurden. Von den Befragten kamen 66 Personen aus Versicherungsgesellschaften – laut Angabe des Instituts handelte es sich um Vorstände, Geschäftsleiter, Bereichs- und Abteilungsleiter. Außerdem wurden 34 Personen aus Versicherungsvermittlungsunternehmen befragt. Ausgewählte Ergebnisse sind online verfügbar. Zudem kann die Studie kostenpflichtig bei der Beratungsgesellschaft bestellt werden.

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