Versicherungsbote: Viele Versicherungsmakler stehen kurz vor dem Ruhestand. Haben Sie Zahlen oder Schätzwerte, wie viele Bestände demnächst den Besitzer wechseln werden?

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Andreas W. Grimm: Es gibt keine wirklich validen Zahlen. Am ehesten ist vielleicht das Vermittlerbarometer des AfW auskunftsfähig, bei dem wir auch Fragen beisteuern. Laut diesem planen ungefähr 13 Prozent der Makler, ihre Tätigkeit in den nächsten 5 Jahren einzustellen. Geht man von 47.000 Maklern aus, wären das über 6.000 Makler. Das dürfte aber weit übertrieben sein. Ein nicht unwesentlicher Teil der eingetragenen Makler sind vermutlich keine relevanten Marktteilnehmer, weil es sich um Nebenberufliche handelt – oder um Ventillösungen, bei denen Ausschließlichkeitsagenten Lösungen umsetzen, die sie bei ihrem eigenen Versicherer nicht umgesetzt bekommen oder nicht ausreichend vergütet sehen. Beim Resultate-Institut gehen wir davon aus, dass pro Jahr ca. 300 Bestände oder Unternehmen ernsthafter Größe an den Markt kommen und einen neuen Besitzer suchen.

Die Bestandsübertragung ist ein komplexer Prozess. Wann sollten Versicherungsmakler aus Ihrer Sicht spätestens den Wechsel eines Besitzers in die Regel leiten? Und was sollten sie dabei beachten?

Man muss zwischen der strategischen Nachfolgeplanung und der operativen unterscheiden.

Die strategische Planung lassen leider die meisten Makler weg und bringen sich so teilweise um ein echtes Vermögen. Die sollte idealerweise ca. 10 Jahre vor der geplanten Nachfolge starten. Aber auch drei bis fünf Jahre vor der geplanten Übergabe sind meist noch viele Optionen realisierbar. Bei der strategischen Nachfolgeplanung geht es nicht um das konkrete Verkaufen des Bestands, sondern um die Frage, wie das Unternehmen übergabefähig gemacht werden kann und für welchen Käufertypus das Unternehmen am attraktivsten ist. Auf diesen Käufertypus sollten dann auch die Vorbereitungen ausgerichtet sein. Es geht dabei auch nicht nur um die Übertragbarkeit des Bestands, sondern um die Übergabe des gesamten Unternehmens mit dem gesamten Geschäftsmodell. Das ist meist viel mehr als nur der Bestand. Und meist ist das Geschäftsmodell auch viel mehr wert als der reine Bestand.

Die operative Nachfolgeplanung beginnt dann meist eineinhalb Jahre vor der geplanten Übergabe. Da geht es dann ganz konkret um die Frage der Suche und der Ansprache konkreter Kandidaten, um die Verhandlungsführung und Vertragsgestaltung und die Frage der konkreten Umsetzung und Übergabe.

Die meisten Makler verkennen, dass es sich bei der Nachfolgeplanung nur zu einem kleinen Teil um juristische Fragestellungen dreht – die sind zwar auch wichtig, aber es kommt eben ein ganz anderes Ergebnis heraus, wenn ein solches Projekt aus der juristischen Brille getrieben wird, als wenn unternehmerische Überlegungen im Vordergrund stehen.

Wie werden Bestände bewertet? Und können Makler auch kurz vor dem Bestandsverkauf noch etwas unternehmen, um den Bestand aufzuwerten?

Bestände werden üblicherweise nach einem modifizierten Ertragswertverfahren auf Basis des zu erwartenden Cash-Flows bewertet. In den meisten Fällen ist die Bestandsbewertung allerdings das falsche Instrument, weil nicht der Bestand, sondern das Maklerunternehmen verkauft und übergeben wird. Eine Bestandsbewertung ist etwas anderes als eine Unternehmensbewertung. Das ist dann zwar auch ein modifiziertes Ertragswertverfahren – allerdings auf Basis des zu erwartenden bereinigten EBITDA. Der Unternehmenswert wird im nächsten Schritt dann nach Steuern berechnet.

Man kann Makler eigentlich nicht deutlich genug davor warnen, auf kostenlose oder alternative Bewertungsverfahren zu setzen oder einfach irgendwelche Bewertungstools einzusetzen, nur weil sie einfacher anzuwenden sind. Der Schaden, der durch Unkenntnis und durch die Anwendung irgendwelcher Bewertungstools angerichtet wird, geht vermutlich in die Millionen. Wir kennen kein einziges Tool am Markt, das auch nur annähernd in der Lage wäre, ein modifiziertes Ertragswertverfahren nach Steuern einigermaßen befriedigend umzusetzen. Da veranstalten doch viele Marktteilnehmer einen ziemlichen Hokuspokus um das Thema Bestandsbewertung, ohne ihren Kunden dann eine wirklich valide Leistung zu erbringen.

Welche Probleme können bei einer Bestandsübertragung typischerweise auftreten?

Natürlich treten auch mal Probleme bei der eigentlichen Bestandsübertragung auf, weil der eine oder andere Versicherer sich mangels Datenschutzvereinbarung weigert, einen Kunden courtagewirksam zu übertragen. Die meisten Probleme ergeben sich eigentlich aus einer falschen Geschäftspartnerauswahl, aufgrund eines zu naiven und unstrukturierten Herangehens, einer zu wenig detaillierter Planung und Absicherung– und leider auch aufgrund diverser „Windhunde“, die die Branche irgendwie anzuziehen scheint.

Sehr viel Unternehmenswerte werden aus unserer Sicht momentan deshalb vernichtet, weil professionelle Bestandskäufer über geschicktes Marketing den verkaufswilligen Maklern Hoffnungen auf Ergebnisse suggerieren, die vermutlich niemals auch nur im Ansatz realisiert werden können. Da überschlagen sich momentan die Anbieter mit angeblichen Superlativen. Da muss man leider der Branche attestieren, dass es sehr viele gutgläubige Verkäufer gibt, die mit ein bisschen mehr kritischer Herangehensweise und mit einer kleinen Investition in einen erfahrenen Berater einige zehntausend oder gar hunderttausende Euros sparen bzw. mehr erzielen hätten können.

Man kann es deshalb nicht oft genug sagen: Wer sein Unternehmen professionell führt, also einen klaren Fokus hat, Gesetze zeitnah umsetzt und seine Prozesse und IT auf einem zeitgemäßen Niveau führt, der wird auch später kein wirkliches Problem mit der Übergabe seines Unternehmens oder seines Bestands haben.

Aber auch Käufer sollten aufpassen, wenn sie noch keine Erfahrung im Bestandskauf haben. Da werden teilweise Bestände angeboten, die einfach wertlos sind. Erst kürzlich hatte ein ehemaliger MLP-Berater wieder versucht, seine ehemaligen Ausschließlichkeitsbestände an den Mann zu bringen, obwohl es außer einer Adressliste nichts zu übergeben gab – und auch das sollte über einen Strohmann erfolgen, damit er selbst nicht gegen irgendwelche Gesetze oder Verträge verstoßen hätte.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig. Teil 2 des Interviews lesen Sie in wenigen Tagen beim Versicherungsboten - unter anderem über die Frage, was junge Makler beim Aufkauf von Beständen beachten sollten.

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