“Auf die Berufsunfähigkeitsversicherer ist Verlass“ - so schreibt am Montag der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) und liefert neue Zahlen zur Berufsunfähigkeitsversicherung. Knapp über 77 Prozent der Leistungsanträge haben die privaten Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsversicherer 2015 bewilligt, in etwa genauso viel wie im Jahr zuvor.

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Für den Dachverband der Versicherer ist das eine gute Nachricht. „Versicherte können auf eine anhaltend hohe Leistungsquote bauen“, so das Fazit des GDV. Neuere Zahlen liegen aktuell nicht vor. Wie viele Anträge in konkreten Zahlen gestellt, bewilligt und abgelehnt wurden, artikuliert der Verband nicht.

Im Schnitt werden 630 Euro Monatsrente gezahlt

Der GDV nennt weitere Daten. 7.551 Euro an Jahresrente haben die Versicherer demnach im Schnitt ausgezahlt: also circa 630 Euro im Monat. Das beinhaltet auch Renten aus Zusatzpolicen zur Berufsunfähigkeit, etwa aus einer Risikolebensversicherung. Beitragsrückzahlungen hat der Verband bei der Durchschnittsrente nicht eingerechnet, heißt es auf Anfrage.

Und wie lange müssen sich die Versicherten gedulden, bis über eine Rente entschieden wird? Im Durchschnitt liegen 111 Tage zwischen Antrag und Bewilligung der Rente, berichtet der GDV. Darin enthalten sei unter anderem die Zeit, die der Versicherte für die Antragstellung inklusive der erforderlichen Unterlagen benötigt und die gegebenenfalls weitere Gutachten oder Stellungnahmen in Anspruch nehmen.

Häufigster Ablehnungsgrund: der Kunde meldet sich nicht

Häufigste Gründe, weshalb ein Antrag auf eine private BU-Rente abgelehnt wird. Quelle: gdv.de

Weshalb aber werden Anträge auf Berufsunfähigkeitsrente abgelehnt? Häufigste Ursache sei mit 28 Prozent aller Fälle, dass der Kunde keine Reaktion mehr zeige, berichtet der GDV. Das kann viele Ursachen haben: etwa, dass sich der Gesundheitszustand des Antragstellers verbessert hat und er in seinen Beruf zurückkehren kann.

Jeder vierte Antrag abgelehnt, weil BU-Grad nicht erreicht wird

Zweithäufigste Ursache: Der Versicherte erreicht nicht den versicherten Berufsunfähigkeits-Grad. Dies ist bei 26 Prozent aller Anträge der Fall, bei denen der Versicherer „nein“ sagt: Und damit bei mehr als jeder vierten Ablehnung. Der Hintergrund: In der Regel wird eine BU-Rente nur bewilligt, wenn der Versicherte weniger als 50 Prozent seines bisherigen Pensums leisten kann, abhängig vom jeweiligen Vertrag. Hier droht das Risiko eines Rechtsstreits, weil ein Gutachter des Versicherers zu einem anderen Ergebnis kommt als der Haus- oder Facharzt des Betroffenen, so berichtet Klaus Hellwig, Vertriebsdirektor der KS/Auxilia, in einem Fachbeitrag für den Versicherungsboten.

Dritthäufigster Ablehnungsgrund ist, dass der Betroffene keinen schriftlichen Leistungsantrag einreicht und deshalb der Versicherer nicht prüfen kann, ob tatsächlich ein Anrecht auf BU-Rente besteht (24 Prozent). In der Regel wird der Versicherer dem Antragsteller einen umfangreichen Fragenkatalog abverlangen und ärztliche Berichte und Unterlagen einfordern, damit der Anspruch auf BU-Rente geprüft werden kann. Wer diese Fragen nicht oder nur lückenhaft beantwortet, dessen Antrag kann auch nicht positiv entschieden werden.

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Weitere sieben Prozent der Anträge werden abgelehnt, weil der Versicherte die vorvertragliche Anzeigepflicht nach §19 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) verletzt haben soll. Demnach kann der BU-Versicherer vom Vertrag zurücktreten und seine Leistung verweigern, wenn der Versicherungsnehmer im Antrag auf BU-Schutz falsche oder unvollständige Angaben zu seinem Gesundheitszustand machte. Das untersuchen die Gesellschaften aber aus Kostengründen erst, wenn der Ernstfall eingetreten ist und man eine BU-Rente beantragt.

...bereits im Vorjahr Kritik an GDV-Statistik

Während der GDV seine Statistik als Beweis dafür wertet, dass die BU-Versicherer schnell und problemlos leisten, gab es bereits bei den im Vorjahr veröffentlichten Zahlen für das Jahr 2014 Kritik an dieser Interpretation. So gab das Beratungshaus PremiumCircle eine eigene Studie in Auftrag, deren Datenbasis sich ebenfalls auf das Jahr 2014 bezog. Das Ergebnis: „Unklare und unverbindliche Vertragswerke sorgen für extreme Unterschiede bei den Leistungsentscheidungen der Versicherer“, sagte Claus Dieter Corr, Geschäftsführer bei PremiumCircle.

Zwar kamen die Analysten zu einer ähnlichen Leistungsquote wie der GDV: bei den antwortenden Versicherern wurden 72,2 Prozent positiv entschieden. Dabei zeigten sich aber gewaltige Unterschiede bei der Ablehnungsquote. Der Versicherer mit den wenigsten Ablehnungen verweigerte nur 13,9 Prozent aller Antragsteller eine BU-Rente, der Versicherer mit den meisten Ablehnungen entschied gar 83,3 Prozent negativ (der Versicherungsbote berichtete).

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Fast jeder dritte Verbraucher klagt erfolgreich gegen seinen BU-Versicherer

Eine weitere Zahl lässt aufhorchen. PremiumCircle schaute sich 169 erstinstanzliche Urteile vor Landgerichten an, in denen sich ein Verbraucher mit seiner Versicherung über die Rente aus seinem BU-Vertrag stritt. Die Chancen auf Erfolg waren für die Betroffenen sehr hoch. Beinahe jeder dritte Berufsunfähige (31,4 Prozent), der gegen seinen Versicherer klagte, konnte sich durchsetzen und erhielt Recht: ebenfalls eine stolze Quote. Auch hier variierten die Erfolgsaussichten von Anbieter zu Anbieter. Die unternehmensindividuelle Quote schwankte zwischen Null Prozent – das heißt, kein einziger Verbraucher hatte vor Gericht Erfolg – und 83,3 Prozent: Fünf von sechs Verbrauchern konnten erfolgreich klagen.

Die GDV-Statistik weise an keiner Stelle aus, welche Versicherer tatsächlich schnell und transparent zahlen - und welche ihre Kunden in lange Rechtsstreite verwickeln, so die Kritik von PremiumCircle an den Zahlen des Branchenverbandes. Deshalb könnten weder Vermittler noch Kunden das Leistungsverhalten eines BU-Versicherers genau einschätzen. Hier fordern die Analysten von Politik und Branche mehr Transparenz. Allerdings wurde auch diese Studie kritisiert. GDV-Geschäftsführer Peter Schwark warf dem Analysehaus vor, eigene finanzielle Interessen zu haben und nur deshalb eine solche Studie zu veröffentlichen, um einen Markt für seine Beratungsleistungen zu schaffen.

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