Der derzeitige SPD-Kanzlerkandidat und ehemalige Bundesminister für Finanzen Peer Steinbrück kritisierte während seines Wahlkampfes mehrfach das Vorgehen der Bundesregierung gegen Steuerhinterziehung. Seine Forderung: Es müsse mehr gegen solch einen Betrug gemacht werden. Dabei blieben auch dank Steinbrück jahrelang zahlreiche Fälle des Steuerbetrugs verborgen. Möglich war dies durch die rot-grüne Steuerreform im Jahr 2002 – in sogenannten „Cum Ex-Geschäften“ wurde trotz einmaliger Zahlung die Kapitalertragssteuer mehrfach vom Staat erstattet. Bei Geschäften dieser Art handelt es sich um mit Leerkäufen verbundene Aktiengeschäfte, die um einen Dividentenstichtag abgeschlossen werden. Und als das Schlupfloch erst einmal da war, ließen es die Händler in Banken und Hedgefonds darauf ankommen. Viele große Banken sollen in den Steuerbetrug verwickelt sein. Der Schaden für den deutschen Steuerzahler könnte sich auf einen zweistelligen Milliardenbetrag belaufen.

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Wie funktionierte der Steuerbetrug?

Bei sogenannten „Cum-Ex-Transaktionen“ werden Aktien rund um den sogenannten Dividenden-Stichtag, also dem Tag, an dem Unternehmen die Gewinnausschüttung an ihre Kapitalanleger festlegen, im hohen Tempo ge- und verkauft. Zu viel gezahlte Kapitalertragssteuern auf diese Geschäfte werden später vom Fiskus zurückerstattet. Durch Tricks sollen Banken und Aktienhändler erreicht haben, dass die Finanzbehörden die Kapitalertragssteuer bis zu vier Mal erstattet hat, obwohl die Steuer nur einmal oder sogar gar nicht entrichtet wurde.

Doch wie funktionierte dieser Trick? Hintergrund des Betruges war laut einem Bericht der Welt am Sonntag eine Gesetzeslücke bei einer speziellen Art von Leerverkäufen. Hier leiht sich ein Verkäufer Wertpapiere, um sie direkt weiterzuverkaufen. Fällt der Wert des Papiers bis zu dem Tag, an dem der Verkäufer die Aktie zurückgeben muss, kann er den Gewinn einstreichen.

Während dieser Übergangszeit ist jedoch für rund 48 Stunden nicht ganz klar, wer nun eigentlich Eigentümer dieser Aktie ist - der Verleiher der Aktie, der Verkäufer oder der Endkunde. Deshalb kann es passieren, dass der Fiskus mehrere Erstattungsbescheide für die Kapitalertragssteuer ausstellt, obwohl sie nur einmal gezahlt wurde. Ehrliche Steuerzahler, die einen Bescheid ohne Berechtigung bekommen, ignorieren ihn einfach. Die Profiteure der Gesetzeslücke ließen sich die Steuer jedoch mehrfach zurückerstatten, ohne sie gezahlt zu haben.

Der Schaden ist riesig. Finanzbehörden und Branchenkenner gehen davon aus, dass dem Staat ein Schaden von bis zu zwölf Milliarden Euro entstand. "Es ist denkbar, dass sich Investoren durch geschickte Gestaltungen die Steuer mehr als fünfmal erstatten ließen", sagt Heribert Anzinger, Professor am Institut für Rechnungswesen und Wirtschaftsprüfung der Universität Ulm, gegenüber der Welt am Sonntag.

Gesetzgeber und Behörden blieben untätig

Dem Bankenverband war das Steuerschlupfloch schnell aufgefallen. Bereits im Jahr 2002 informierten sie den damaligen Bundesfinanzminister Hans Eichel. Doch der tat - nichts. Auch sein Nachfolger Peer Steinbrück blieb lange Zeit untätig. Und er machte sogar einen weiteren Fehler.

In 2007 verabschiedete Steinbrück das Jahressteuergesetz, durch das zusätzliche Erträge beim Verkauf geliehener Aktien fällig wurden. Das Steuerschlupfloch hätte bei dieser Gelegenheit geschlossen werden können. Doch auch in diesem Gesetz gab es eine beträchtliche Lücke: Leerverkäufe über ausländische Institute wurden nicht mit in die Gesetzgebung einbezogen, das Steuerschlupfloch damit sogar offiziell legalisiert. Nun wickelten auch inländische Geldinstitute ihre Geschäfte über ausländische Banken ab. Dieser neuerlichen Gesetzeslücke haftet stark der Geruch von Lobbyismus an, da Steinbrück eine Vorlage des Bankenverbandes fast wortwörtlich übernahm. Der Steuerrechtler Joachim Englisch wirft deshalb dem damaligen Bundesfinanzministerium vor, es habe sich „vom Bankenverband die Hand führen lassen und so den Bock zum Gärtner gemacht.“ Erst mit dem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble konnte das Loch letztendlich im Jahr 2012 geschlossen werden.

Milliardenfacher Steuerbetrug - aber Banken verhielten sich wohl gesetzeskonform

Die Beteiligten am Steuerbetrug lesen sich wie ein "Who is Who" der europäischen Banken. Unter anderem die Schweizer Bank Credit Suisse, die Dresdner Bank und die Hypo-Vereinsbank werden solcher Cum Ex-Geschäfte beschuldigt. Noch ist nicht sicher, ob die Institutionen und Investoren, denen Dividentenstripping vorgeworfen wird, rechtlich belangt werden können. Nicht zuletzt, da es sich bei dem Sachverhalt um keine Straftat handelt. Ebenso verhält es sich mit der Ausnutzung von Besteuerungslücken. "Die Banken haben sich gesetzeskonform verhalten", sagt Marc Desens, Professor für Steuerrecht an der Universität Leipzig.

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Es könne nicht einmal gänzlich ausgeschlossen werden, dass die Banken derartige Gesetzeslücken auch aktuell noch ausnutzen. Sofern sie über ausländische Clearingstellen das betreffende Wertpapier physisch ins Ausland transferieren, können sie sich weiterhin Steuern mehrfach zurückerstatten zu lassen, kritisieren Finanzexperten. Hier gebe es einen Nachbesserungsbedarf.

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