16 Jahre lang regierte Altbundeskanzler Helmut Kohl (CDU) die Bundesrepublik mit einer Dickköpfigkeit, die zuweilen auch seinen Gegnern Respekt einflößte. Er gilt als Vater der deutschen Einheit und als der Kanzler, der die Einführung des Euro vorantrieb. Dass er dabei die Spielregeln der Demokratie auch bis zum Verbotenen ausreizte, legt nicht nur die CDU-Schwarzgeldaffäre nahe. In einem nun bekannt geworden Interview sagte Kohl, er habe gewusst, dass er die Einführung des Euro gegen den Willen des Volkes durchsetzen musste.

Anzeige

Helmut Kohls Kanzlerschaft lag bereits vier Jahre zurück, als er im März 2002 den Doktoranden Jens Peter Paul in seinem Berliner Büro empfing. Der Journalist arbeitete an einer Doktorarbeit über die Einführung des Euro und wunderte sich wohl selbst am meisten, dass einen Termin mit dem langjährigen Regierungschef bekam. In dem lange unbeachtet gebliebenen Gespräch zeigte sich der Kanzler dann überraschend offen. Er teilte gegen einstige Gegner und Weggefährten aus. Und er räumte frühere Zweifel ein, ob eine Einführung des Euro gegen alle Widerstände hätte gelingen können (Das Interview ist abgedruckt in Jens Peter Pauls Doktorarbeit: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation. Fallstudien zur deutschen Entstehungsgeschichte des Euro).

“Einführung des Euro war nicht mehrheitsfähig“

Kohl sagte, er habe gewusst, dass die Einführung des Euro in Deutschland nicht mehrheitsfähig gewesen sei. Es habe ihm auch an Mitstreitern für eine gemeinsame europäische Währung in der eigenen Partei gefehlt. In Ostdeutschland wäre der Euro schon deshalb abgelehnt worden, weil die früheren DDR-Bürger erst seit kurzem die D-Mark erhalten hatten, für die sie immerhin eine Revolution gestartet hätten. „Eine Volksabstimmung über die Einführung des Euro hätten wir verloren. Das ist ganz klar. Ich hätte sie verloren. Eine Volksabstimmung hätte ich natürlich verloren, und zwar im Verhältnis 7 zu 3“.

Dennoch sei er davon überzeugt gewesen, dass es richtig ist, den Euro einzuführen – damit es in Europa nie wieder Krieg gibt. Helmut Kohl hatte als Jugendlicher selbst den zweiten Weltkrieg miterlebt. Als 14jähriger war der 1930 Geborene im Löschfeuertrupp der Hitlerjugend eingesetzt worden, bekam Tod und Zerstörung hautnah zu spüren. Ein prägendes Erlebnis war der Verlust des Bruders Karl, der 19jährig bei einem Tieffliegerangriff in Haltern nahe Münster im November 1944 fiel. Umso verbissener trieb Kohl in seiner Regierungszeit die europäische Einigung voran. Der Vertrag von Maastricht, mit dem der Europarat 1992 die Einführung einer gemeinsamen Währung und den Stabilitätspakt beschloss, ist auch der Initiative Helmut Kohls zu verdanken.

"Die deutsche Einheit und der Bau Europas - Das sind die beiden Träume, die ich hatte"

Helmut Kohl verteidigte gegenüber dem Journalisten sein Vorgehen. Die historische Dimension habe ihn dazu veranlasst, eine gemeinsame Währung gegen die Stimmung des Volkes durchzusetzen. Auch sei er durch die Verfassung überhaupt nicht verpflichtet gewesen, eine Volksabstimmung durchzuführen, sein Handeln also demokratisch legitimiert gewesen. Er habe die Währungsunion gewollt, um eine europäische Einigung unumkehrbar zu machen. „Die deutsche Einheit und den Bau Europas – das sind die beiden Träume, die ich hatte“, so Kohls Fazit. Deshalb sei er entschlossen „wie ein Diktator“ vorgegangen:

„Mit Machtmensch hat das nichts zu tun. Der Euro ist ja nur ein Synonym für Europa. Verstehen Sie: Für mich ist die Einigung Europas nicht irgendeine Sache wie dem Riester seine Rentenversicherung. Das ist eine wichtige Sache, aber von der Qualifikation ist das ein Nichts gegenüber dem Euro! Die Rentenversicherung wird jetzt geändert, wird wieder geändert, wird noch einmal geändert. Aber Europa hat zum ersten Mal keinen Krieg mehr. Das muß man doch einmal sehen! Das ist doch ein historischer Bezug.“

Und warum gab Helmut Kohl dem völlig unbekannten Doktoranden Jens Peter Paul überhaupt ein Interview? Auch das hat mit dem Euro zu tun. Offenbar hatte Paul den Altbundeskanzler bei der Ehre gepackt, indem der Journalist in seiner Anfrage schrieb, er habe Informationen aus der Union, dass Kohl 1997 vorübergehend Zweifel am Euro-Zeitplan hegte. "Da läuteten bei ihm alle Alarmglocken", sagte Paul der B.Z., "das wollte er auf keinen Fall später irgendwo lesen." Der Kanzler legt Wert darauf, als ein Gründungsvater des Euro in die Geschichtsbücher einzugehen - ohne jeden Zweifel.

Umso enttäuschter war Kohl, dass es letztendlich der Nachfolgeregierung unter Gerhard Schröder vorbehalten blieb, der deutschen Bevölkerung zum Jahreswechsel 2002 den Euro zu präsentieren. In Deutschland sei seine Rolle nicht ausreichend gewürdigt worden, klagt Kohl. Aber am Tag des Währungsumtauschs hätten ihn ehemalige Kollegen aus dem Ausland vor dem Neujahrskonzert angerufen und gesagt: "Das ist Dein Tag. Das war es ja auch. Und die kleinen Leute schicken ihre Euro-Scheine in großer Zahl, wo sie drauf schreiben: Helmut Kohl - 1.1.2002".

Anzeige

Mehrheit der Deutschen befürwortet Euro

Eine aktuelle Umfrage im Auftrag des „Handelsblatts“ zeigt, dass die Einstellung der Bevölkerung zum Euro mehrheitlich positiv ist. 69 Prozent sprachen sich in der repräsentativen forsa-Umfrage für die Gemeinschaftswährung aus. 27 Prozent aller Befragten wünschen sich hingegen die D-Mark zurück: Das ist immerhin fast jeder Vierte. Noch vor einem Jahr hatte jeder Zweite den Euro abgelehnt. „Die für viele nicht durchschaubare Euro-Krise ängstigt die Deutschen zwar. Die Einstellung zum Euro als Währungseinheit wird davon aber heute nicht mehr berührt”, sagte Forsa-Chef Manfred Güllner dem „Handelsblatt”.

Anzeige