Es gibt mehrere Möglichkeiten für die Politik, unpopuläre Gesetze unauffällig zu verabschieden. Man kann auf ein großes Fußballturnier warten, so dass die Bundesbürger mit Fahnenschwenken beschäftigt sind und sich weniger um das Tun und Machen im Bundestag kümmern. Und man kann eine unliebsame Änderung derart im Gesetzeswerk verstecken, das sie nicht groß auffällt. Beide Tricks wendete die Bundesregierung in der letzten Woche an, um den Datenschutz weiter auszuhöhlen.

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Am vergangenen Freitag, just an jenem Tag, als Deutschland eine bittere Niederlage im EM-Halbfinale gegen Italien kassierte, winkte der Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP ein Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens (Meldegesetz) durch. Es sieht vor, dass Einwohnermeldeämter zukünftig Daten aus ihren Registern an Werbefirmen und Adresshändler weitergeben dürfen. War es bisher den Bundesbürgern noch möglich, schriftlich Widerspruch gegen den Weiterverkauf zu erheben, so wurde dieses Einspruchsrecht nun abgeschafft. Zum 01. November 2014 soll das geänderte Meldegesetz in Kraft treten. Noch sind Änderungen am Gesetzentwurf möglich, auch der Bundesrat muss zustimmen. Die Oppositionsparteien haben ihren Widerstand bereits angekündigt.

Widerspruchsrecht de facto abgeschafft

Dass eine Änderung des sogenannten Melderechtsrahmengesetzes (MRRG) Not tut, ist dabei nicht von der Hand zu weisen. Die aktuelle Fassung stammt aus dem Jahr 1980, als noch kein Mensch etwas vom Siegeszug des Internets und des Smartphones ahnen konnte. Dementsprechend befindet sich das Gesetz nicht auf dem aktuellen technologischen Stand – Es stammt quasi aus analogen Zeiten. Nach kleineren Korrekturen im Jahr 2003 soll das Gesetzeswerk nun den aktuellen Gegebenheiten angepasst werden.

Doch der Teufel steckt wie so oft in einem der hinteren Paragraphen. Paragraph Numero 44 regelt die Herausgabe persönlicher Daten an anfragende Unternehmen. Zum „Zwecke der Werbung oder des Adresshandels“ können Firmen nun Melderegisterauskünfte erhalten. Hier machte die Regierung gegenüber einem früheren Gesetzesentwurf eine hundertprozentige Kehrtwende, die sich zum Nachteil der Bürger auswirkte. War ursprünglich sogar eine Stärkung des Datenschutzes angedacht, ist fortan ein Einspruch der Bürger gegen den Weiterverkauf von Daten nicht mehr vorgesehen.

Zwar gebe es weiterhin ein Musterschreiben, um die Weitergabe persönlicher Meldeamt-Daten zu verhindern, erfuhr das Magazin Zeit vom Bundesbeauftragten für Datenschutz, Peter Schaar. Dieses Widerspruchsrecht gelte jedoch nicht, „wenn die Daten ausschließlich zur Bestätigung oder Berichtigung bereits vorhandener Daten verwendet werden“. Wenn also Adresshändler oder Firmen bereits Daten einer Person besitzen – ganz gleich, auf welche Art sie dazu gekommen sind – können sie diese nun jederzeit vom Einwohnermeldeamt berichtigen und bestätigen lassen. Der Verdacht liegt nahe, dass Lobbyisten bei dieser Klausel ihren Einfluss geltend machten. Nach Informationen der Zeit verhinderten Direktmarketing- und Inkassounternehmen eine Verbesserung des Datenschutzes.

Die Konsequenzen sind durchaus bedenklich. Schon wer früher bei einem Gewinnspiel teilnahm oder bei einer Online-Befragung, wer seine Adresse an einer Hotel-Rezeption hinterließ oder ein Zeitungsabonnement abschloss, wer einen Handwerksmeister beauftragte oder einen Handyvertrag unterzeichnete, muss nun eine ungehinderte Weitergabe persönlicher Informationen befürchten.

Sensible Daten betroffen

Das Technik-Portal Chip Online führt eine ganze Reihe von Daten auf, die von den Meldeämtern zukünftig an Adresshändler und Firmen weitergegeben werden dürfen. Dabei wird ersichtlich, dass durchaus auch sensible Auskünfte betroffen sind:

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  • Frühere Namen einer Person,
  • Doktorgrad,
  • Ordensname oder Künstlername,
  • Geburtsdatum und Geburtsort sowie bei Geburt im Ausland auch den Staat,
  • das Geschlecht der Person,
  • die Konfession,
  • die aktuellen Anschriften,
  • die Adressen von Haupt- und Nebenwohnung,
  • frühere Anschriften im Aus- und Inland,
  • Einzugsdatum und Auszugsdatum der bisherigen Wohnungen,
  • Familienstand,
  • bei Verheirateten Datum, Ort und Staat der Eheschließung
  • sowie
  • die Zahl der minderjährigen Kinder

Dr. Thilo Weichert, Leiter des Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein, kritisierte den Gesetzentwurf scharf. „Ich bin schockiert über Form und Inhalt der Gesetzgebung. An Kommunen und Datenschützern vorbei werden hier wirtschaftliche Lobbyinteressen bedient“, kommentiert Weichert auf der Homepage des Zentrums. Dies sei ein weiterer Schlag ins Gesicht all derer, die dem Versprechen der Koalitionsvereinbarung vertraut haben, den Datenschutz der Bürgerinnen und Bürger zu stärken. „Wir können nur hoffen, dass der Bundesrat diesen gefährlichen Unsinn stoppt.“

Mirko Wenig

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