In der Lebensversicherung waren die verschiedenen Produkte bisher weitgehend geschlechtsspezifisch kalkuliert. Dies bedeutete, dass die private Rente, die Basisrente (Rürup) sowie die Berufsunfähigkeitsversicherung für Männer günstiger als für Frauen war. Bei der Kapitallebensversicherung, der Risikolebensversicherung und der Sterbegeldversicherung schnitten entsprechend der statistisch belegten längeren Lebenserwartung die Frauen besser ab. Keinen Unterschied gibt es bei der Riesterrente, die seit ihrer Einführung 2006 bereits mit einem Unisex-Tarif kalkuliert ist.

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Die Einführung der Unisex-Tarife ab Ende Dezember 2012 wird aus Sicht der DAV bei der reinen Risikoversicherung keine spürbaren Auswirkungen auf das Kaufverhalten der Kunden haben. Der Grund: Die Prämien sind im Vergleich zur Versicherungssumme relativ niedrig. Dementsprechend dürften marginale Prämienveränderungen beim Abschlussverhalten der Kunden kaum ins Gewicht fallen.

Das wesentliche Tarifierungsmerkmal bei der Berufsunfähigkeitsversicherung ist weniger das Geschlecht als vielmehr die Berufsgruppe. Das Kundenverhalten wird sich daher mit Einführung von Unisex-Tarifen voraussichtlich nicht wesentlich ändern. Unisex-Tarife werden bei Berufsunfähigkeitsversicherungen mäßige Preisveränderungen gegenüber den derzeit angebotenen Produkten aufweisen.

Die größten Veränderungen wird die geschlechtsneutrale Kalkulation bei der privaten Rentenversicherung bringen: sie wird für Männer deutlich unattraktiver, so dass männliche Kunden vermehrt reine Sparprodukte als Alternative wählen könnten. Der Preis für eine nach Unisex-Rechnungsgrundlagen kalkulierte Rentenversicherung hängt davon ab, wie hoch der Aktuar den künftigen Männeranteil im Tarifverbund schätzt: je niedriger der Männeranteil angesetzt wird, desto höher der Preis.

Besonders schwierig ist die Preisfindung bei aufgeschobenen Rentenversicherungen. Hier ist nicht nur eine Schätzung des Männeranteils zu Versicherungsbeginn erforderlich, sondern auch eine Schätzung des Männeranteils zum Ausübungszeitpunkt der Rentenoption. Dieser kann 20-30 Jahre in der Zukunft liegen und die Kundenentscheidung zur Ausübung der Rentenoption von zu diesem Zeitpunkt existierenden Produktalternativen abhängen.

Bei dem Sonderfall „Riesterrente“ funktioniert die Unisex-Kalkulation deshalb, weil die für Männer im Vergleich zu einer geschlechtsspezifisch kalkulierten Rentenversicherung erhöhten Prämien durch staatliche Förderung verwischt werden, der Kundenkreis groß ist und damit die sozioökonomischen Risiken reduziert sind.

Offene Fragen bei der betrieblichen Altersversorgung

Formal ist der Geltungsbereich des EuGH-Urteils auf Versicherungsunternehmen beschränkt und betriebliche Altersversorgung ist formal nicht erfasst. Es gibt somit keine unmittelbaren Auswirkungen des Urteils auf die betriebliche Altersversorgung - weder arbeitsrechtlich noch versicherungsvertraglich.

Ob allerdings vom EuGH ein ansonsten vergleichbarer Fall aus der betrieblichen Altersversorgung anders entschieden würde, mit der Folge, weiterhin geschlechtsabhängige Kalkulationen zuzulassen, ist fraglich. In seiner Begründung nimmt der EuGH auf die höherrangige Grundrechtscharta Bezug, die allgemein gültig ist und sich damit auch auf die betriebliche Altersversorgung beziehen würde. Eine weitgehende Rechtssicherheit könnte nur durch die Überarbeitung der entsprechenden Richtlinien und deren Umsetzung in nationales Recht oder durch ein EuGH-Urteil herbeigeführt werden.

In der betrieblichen Altersversorgung ist der obligatorische Einschluss der Hinterbliebenenversorgung weit verbreitet. Dies hat zur Folge, dass sich die „Tarife“ für die beiden Geschlechter, wenn überhaupt, nur geringfügig unterscheiden.

Arbeitgeberfinanzierte betriebliche Altersversorgung beginnt mit dem Arbeitsverhältnis und lässt dem Begünstigten nur wenige Spielräume offen. Aus diesem Grund spielt die Antiselektion hier keine Rolle; lediglich bei der Entgeltumwandlung hat sie eine - wenn auch untergeordnete - Bedeutung.

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Die Einführung von Unisex-Tarifen in der betrieblichen Altersversorgung würde diese bei versicherungsartigen Durchführungsformen generell teurer machen, da aufgrund der grundsätzlichen Unsicherheit über die Geschlechterzusammensetzung im Bestand insgesamt eine höhere Prämie entrichtet werden müsste.

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