Über viele Jahrzehnte wurden Geschlechterunterschiede statistisch erfasst und analysiert. Eines der bisher wichtigsten Merkmale für die Tarifierung fällt nun für die Zukunft weg, ohne dass geeignete andere verlässliche Faktoren für innovative Ansätze ad hoc zur Verfügung stehen. Es bleibt also zunächst nur der Weg, aus den vorhandenen geschlechtsspezifischen Rechnungsgrundlagen unter Annahme einer Bestandszusammensetzung Unisex-Rechnungsgrundlagen herzuleiten. Völlig unabhängig von Selektionsrisiken, welche die Einführung der Unisex-Anforderung mit sich bringt, kann sich kurzfristig ein Wettbewerbsvorteil oder -nachteil schon allein aus den heutigen Unterschieden in den Beständen der Anbieter ableiten.

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Mit diesem Geschlechter-Mix erhält die Kalkulation somit eine neue Unbekannte, die sich zwischen Produkten, Vertriebswegen und Gesellschaften oft stark unterscheidet. Die Erfahrungen bei Riester zum Geschlechtermix lassen sich aufgrund der unterschiedlichen Rahmenbedingungen nicht unmittelbar auf Produkte in anderen Bereichen übertragen. Je nach Produkt stellen sich oft ganz unterschiedliche Herausforderungen.

In der Risikolebensversicherung ist aufgrund der bisherigen großen Prämienunterschiede zwischen Männern und Frauen die Sensitivität bezüglich des Geschlechtermix besonders ausgeprägt. Allerdings stellt man im Wettbewerbsvergleich fest, dass die heutigen Unterschiede zwischen den Prämien von Gesellschaften, die in vergleichbaren Segmenten aktiv sind, deutlich größer sind als die jeweiligen Unterschiede in den Prämien zwischen den Geschlechtern. Vor dem Hintergrund eines aus Anbietersicht zunehmenden Interesses an Produkten mit versicherungstechnischem Risiko (Stichwort Solvency II) stellt sich für viele Unternehmen damit die Frage nach einer völligen Neupositionierung der Risikolebensversicherung im Zuge von Unisex.

Die Festlegungen zum Geschlechtermix für die aufgeschobene Rentenversicherung sind besonders kritisch, da Abweichungen von den Annahmen hier erst in vielen Jahren (zum Verrentungszeitpunkt) sichtbar werden und das Volumen besonders groß ist. Zudem ist die „natürliche“ Änderung des Geschlechtermix im Zeitverlauf (man spricht von „Entmischung“) von hoher Bedeutung (der Frauenanteil steigt im Laufe der Zeit, da weniger Frauen sterben). Aus aktuarieller Sicht ist sicherzustellen, dass hier kein Wettbewerb um die günstigsten Annahmen entsteht und ausreichend Risikobudget über eine passende Überschussbeteiligungssystematik erhalten wird.

Bei der Umstellung bestimmter Tarife für die betriebliche Altersversorgung stellt man fest, dass diese aufgrund der Leistungsgestaltung weitgehend unabhängig vom Geschlechtermix sein können, wenn typische kollektiv kalkulierte Hinterbliebenenrenten eingeschlossen sind. Auf der anderen Seite wirft die Analyse hierbei ganz andere Fragen auf: die Kombination verschiedener Leistungsarten (Altersrente, Invalidität, Hinterbliebenenversorgung) kann die Annahme unterschiedlicher Geschlechtermixe für die verschiedenen Leistungsbausteine in einem Produkt erfordern. Daneben ist die Konsistenz der Rechnungsgrundlagen untereinander sicherzustellen. Insbesondere bei Kompakttarifen mit Kalkulationsgrundlagen nach dem sog. Heubeck-Modell (Stichwort Pensionsrentenversicherung) wird dies überraschend komplex.

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In der Berufsunfähigkeitsversicherung wurde bei zahlreichen Anbietern erst vor kurzem eine neue Systematik von Berufsklassen eingeführt – noch nach Geschlechtern differenziert. Je nach Gestaltung des Tarifs gibt es dabei aber erstaunliche Unterschiede zwischen verschiedenen Gesellschaften bzgl. der Relevanz der Geschlechterunterschiede in den einzelnen Berufsklassen und infolgedessen in der Auswirkung der Unisex-Umstellung. So gibt es einerseits Anbieter, bei denen in einzelnen Berufsklassen der Geschlechtermix wenig Auswirkung auf die Unisex-Prämie haben dürfte, und andererseits solche, bei denen dies nicht der Fall ist. Es ist daher durchaus davon auszugehen, dass es mittelfristig zu Veränderungen bei der Einteilung der Berufsklassen kommen kann.

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