Nimmt man die Antwort der Bundesregierung auf eine aktuelle Anfrage im Bundestag zum Ausgangspunkt, dann ist mit den sogenannten Basistarifen der privaten Krankenversicherungen alles in bester Ordnung. Die Fraktion Die Linke hatte angefragt, ob Basisversicherte gegenüber anderen Versicherungsnehmern benachteiligt werden, ja sogar noch weit hinter das Versorgungsniveau eines gesetzlich versicherten Patienten zurück fallen. Die Bundesregierung bestritt dies jedoch. Zwar seien einzelne Fälle bekannt, in denen Vertragsärzte die Behandlung von basisversicherten Patienten abgelehnt haben. Aber von gravierenden Folgen für die gesetzliche und private Krankenversicherung könne keine Rede sein.

Dabei stand der Basistarif bereits bei seiner Einführung unter der Federführung der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt in der Kritik. Seit dem 01. Januar 2009 sind private Versicherungsanbieter verpflichtet, Leistungen anzubieten, der dem Katalog gesetzlicher Krankenversicherungen vergleichbar sind – auch der Monatsbeitrag darf folglich nicht über dem Niveau einer gesetzlichen Police liegen. So sollte gewährleistet werden, dass arbeitslose oder ältere Privatpatienten, die ihre Mitgliedsbeiträge nicht mehr zahlen können, ihren Versicherungsschutz durch den Wechsel in einen „günstigen“ Tarif aufrecht erhalten können. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass die Angebote besonders preiswert sind: bis zu 580 Euro Monatsprämie können für solch einen Vertrag fällig werden.

Gestalten private Versicherungsanbieter ihre Basistarife bewusst unattraktiv?

Die Debatte im Bundestag ging auf einen Fernsehbeitrag des ARD-Magazins Kontraste zurück. In der Reportage „Behandlung dritter Klasse – Privat krankenversichert im Basistarif“ vom 28.10.2010 wurde der Verdacht laut, dass Krankenversicherungen ihre Basistarife bewusst unattraktiv gestalten – zum Nachteil des Patienten. Ein wesentliches Problem sei es, dass die Anbieter niedrige Gebührensätze für behandelte Ärzte zahlen. Bis zu vierzig Prozent weniger Honorar muss nach Recherchen des ARD-Magazins ein Psychotherapeut einplanen, der einen Basisversicherten in seiner Praxis betreut.

Die Folgen für die Versicherungsnehmer können dramatisch sein. Viele Ärzte würden eine Behandlung verweigern und keine Termine geben. Oder die Betroffenen müssen um eine Behandlung regelrecht feilschen. Ein Selbstversuch der Kontraste-Redaktion verhärtete den Verdacht. So riefen Journalisten eine Verbraucher-Hotline in Heilbronn an, um herauszufinden, welche Zahnärzte Basispatienten in ihre Kundenkartei aufnehmen. Das Ergebnis der Auskunft war ernüchternd: nur fünf von 128 ortsansässigen Zahnärzten seien dazu bereit gewesen. Sind also die Vorwürfe, bei den Basistarifen handele es sich um bewusst unattraktiv gestaltete Verträge, berechtigt?

Skeptische Haltung der Privatversicherer

Tatsächlich machte die private Versicherungswirtschaft aus ihrer Abneigung gegen den verordneten „Zwangstarif“ nie einen Hehl. Kurz nach der Einführung einer verpflichtenden Basisversicherung zogen mehrere Anbieter vor das Bundesverfassungsgericht, um das neue Kassengesetz zu verhindern. Branchenvertreter Volker Leienbach vom Verband der privaten Krankenversicherungen geißelte damals die Billigtarife als unsolidarisch. „Bei einem Wechsel in den Basistarif werden Versicherte in der Regel von Nichtwechslern subventioniert“, erklärte er gegenüber den Medien.

Zwar scheiterte die Klage in Karlsruhe – doch auch heute reichen wenige Klicks, um sich von der ablehnenden Haltung der Privatversicherer zu überzeugen. „Der für die PKV typische höherwertige Versicherungsschutz besteht im Basistarif nicht“, heißt es auf der Homepage des Verbandes der privaten Krankenversicherungen, und weiter: „Durch einschnürende gesetzliche Vorgaben ist der Basistarif zudem nicht kostendeckend. Die verbleibende Deckungslücke geht laut Gesetz auf Kosten der Bestandsversicherten in der PKV.“

Auf der Homepage nennt der Krankenkassenverband auch Gründe für seine Abneigung. Denn anders als die gesetzlichen Krankenversicherer seien die Privaten Versicherungen gezwungen, mit dem Basistarif Altersrückstellungen zu bilden. Da Vorerkrankungen für die Berechnung des Beitrages nicht herangezogen werden dürfen, würde der Tarif zudem von überdurchschnittlich vielen alten und kranken Versicherten in Anspruch genommen, ohne dass eine ausgeglichene Risikomischung mit gesunden Versicherungsnehmern gewährleistet sei. Auch könnten sich die privaten Krankenversicherungen nicht des Instrumentes kostensenkender Rabattverträge bedienen, wie dies den gesetzlichen Versicherungen gestattet ist. In der Folge sind die Basistarife für die Privatversicherer ein teures und unbeliebtes Produkt.

Dennoch würden die Krankenkassen nicht eingestehen, dass sie mit den Basistarifen ein unattraktives Angebot bereit halten. Auf Nachfrage von Kontraste antwortete Volker Laienbach: „Das kann ich überhaupt nicht sehen. Der Basistarif ist ein Tarif, der dem gesetzlichen Krankenversicherungstarif vergleichbar ist.“
Und auch die Bundesregierung wiegelt ab. Zwar können Ärzte die Behandlung von Basispatienten ohne Begründung verweigern, und dies sei in Einzelfällen passiert. Von einer Benachteiligung könne jedoch keine Rede sein.
Allerdings lassen die Antworten der Regierung auf kritische Fragen Interpretationsspielraum. „Der Bundesregierung liegen hierzu keine belastbaren Zahlen vor“ - fehlen bisher einfach die statistischen Erhebungen zu diesen Fragen?

Ein Ausblick

Wie also weiter mit den Basistarifen ? Bisher handelt es sich noch um ein Nischenprodukt. Von circa 9Millionen privatversicherten Patienten waren im Januar 2011 lediglich 21.000 Versicherte Inhaber einer solchen Police. Experten erwarten jedoch, dass mit den Beitragssteigerungen der privaten Krankenkassen die Zahl der Basisversicherten in den nächsten Jahren rapide steigen könnte. Für viele Versicherte ist ein Wechsel keine freiwillige Entscheidung, sondern Folge von finanziellen Problemen und Arbeitslosigkeit.

Als ein „Abstellgleis ohne Rückfahrkarte“ bezeichnet das Verbraucherportal Widge.de die Tarife, warnt zugleich davor, sich in einen solchen Vertrag drängen zu lassen. Statt dessen sollen Kunden prüfen, ob ein Wechsel in einen anderen günstigen Tarif der eigenen Krankenkasse möglich ist. Hierzu wäre jedoch zu ergänzen, dass die Basistarife als Angebot für jene Mitglieder gedacht waren, die ihren Versicherungsschutz bereits verloren hatten – entsprechend müssten die Preise gestaltet sein.

Doch auch für die Versicherungsgesellschaften sind die Basistarife ein Problem, da sie Patienten ohne Prüfung der Vorerkrankungen versichern müssen. Und eine weitere Neuregelung könnte ihre Situation zukünftig verschärfen: die Kassen werden mit einer steigenden Zahl von Mitgliedern konfrontiert, die gar keine Beiträge zahlen und denen dennoch eine medizinische Grundversorgung gewährleistet werden muss. Rund 150.000 Mitglieder zahlen aktuell keinen Beitrag, die Ausfälle werden bereits jetzt auf 300 Millionen Euro geschätzt.

Die Debatte führt schnell zu Grundfragen der privaten und gesetzlichen Versicherung. Wie kann ein guter und finanzierbarer Schutz auch jenen Versicherungsnehmern gewährleistet werden, die in finanziellen Schwierigkeiten stecken? Warum ist ein Wechsel von privater in eine gesetzliche Krankenkasse nicht möglich bzw. wie wäre dieser zukünftig zu regeln? Und wie kann gewährleistet sein, dass in Zeiten brüchiger Erwerbsbiographien ein lebenslanger Krankenschutz auch bei Erwerbslosigkeit und finanziellen Durststrecken garantiert ist? Die letzten Redebeiträge hierzu sind noch nicht gesprochen.

Mirko Wenig

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