Sanieren sich die Lebensversicherer im Niedrigzins zu Lasten der Kunden, indem sie immer mehr Anteile am erwirtschafteten Überschuss einbehalten? Diesen Vorwurf erhebt aktuell Gerhard Schick, Finanzexperte der Grünen im Bundestag, gegenüber „Spiegel Online“. Die Anschuldigungen bergen Sprengstoff: Die Versicherer würden mit faulen Tricks dafür sorgen, dass zuerst Konzern und Aktionäre von den Überschüssen profitieren, während die Sparer immer weniger vom Kuchen abbekommen. Sie treffen die Branche in einer Zeit, in der sie ohnehin mit einem Imageproblem kämpft.

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Gewinnabführungsverträge lassen Rohüberschuss schrumpfen - der Kundentopf wird kleiner

Konkret geht es um sogenannte Gewinnabführungsverträge in der kapitalbildenden Lebensversicherung, die zwischen einer Konzernmutter und ihrer Lebensversicherungs-Tochter geschlossen werden. Die Zahl der Unternehmen mit diesen Verträgen ist stark angestiegen, seitdem das Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) 2014 in Kraft trat, so ergab eine kleine Anfrage der Grünen bei der Bundesregierung. Waren es im Jahr 2013 noch 23 Versicherer, die sich dieses Instruments bedienten, so stieg ihre Zahl im Jahr 2016 auf 31.

Das Prinzip der Gewinnabführung bewirke aber, dass weniger Geld für die Kunden zur Verfügung stehe, deren Verträge frisch ausgezahlt werden, argumentiert Schick. Denn auch der Gesamtüberschuss in der Kapitalleben-Sparte schrumpfe rapide. Ohne diese Gewinnabführungsverträge würden rund 1,45 Milliarden Euro zur Verfügung stehen, so aber schrumpfe der Topf auf 335,5 Millionen Euro. Die Muttergesellschaften zwacken demnach große Summen von ihren Tochterfirmen ab, etwa, um mehr Geld an die Aktionäre auszuschütten. Die Kunden aber würden deutlich weniger erhalten.

LVRG soll fairen Ausgleich zwischen Versicherern und Kunden garantieren

Brisant ist der Vorwurf auch deshalb, weil das LVRG dafür sorgen sollte, dass die Lasten des aktuellen Niedrigzinses gerecht zwischen Konzern und Versicherungskunden verteilt werden. Die Sparer haben ein Recht darauf, angemessen an den Überschüssen beteiligt zu werden. Das soll mit einer Art Kompromiss passieren:

Laut LVRG dürfen die Versicherer ihren Kunden Gewinne aus bestimmten festverzinslichen Papieren bei Ende der Vertragslaufzeit vorenthalten, wenn die Garantiezusagen für die restlichen Versicherten gefährdet scheinen. Im Gegenzug dürfen sie auch keine Renditen mehr an Aktionäre und Eigentümer auskehren. Das Problem aus Sicht des Grünen-Abgeordneten: untersagt ist laut Gesetz nur, dass Geld an Aktionäre ausgeschüttet wird. Es dürfen aber Überschussanteile an die Mutterfirmen oder andere Dritte herausgelöst werden. Bereits der Bundesrat hatte darin eine Gesetzeslücke gesehen und vor einem Missbrauch gewarnt, als das LVRG beschlossen wurde.

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Gerhard Schick verlangt deshalb eine Gesetzkorrektur. "Die Krise der Lebensversicherer geht voll zu Lasten der Versicherten. Sie schultern mit geringeren Überschussanteilen die Probleme der Unternehmen", zitiert der Spiegel den Grünen-Abgeordneten. "Die Daten veranschaulichen, dass es aktuell keine wirksame Ausschüttungssperre für die Eigentümer gibt, weil sie einfach umgangen wird.“

GDV weist Vorwürfe gegen Lebensversicherer zurück

Grünen-Politiker Gerhard Schick verweist auf eine weitere Zahl des Bundesfinanzministeriums, die belegen soll, dass die Unternehmen ihre Kunden immer weniger am Rohüberschuss beteiligen. Wurden 1995 noch 95,7 Prozent der Rohüberschüsse an die Versicherten ausgeschüttet, so sank die Zahl 2016 auf 85,9 Prozent. Der Anteil der Unternehmen sei in der gleichen Zeit von 2,5 auf 14,1 Prozent gestiegen.

Bei dieser Rechnung gilt es aber zu bedenken, dass die Gewinnabführung nicht der wichtigste Grund ist, weshalb der Kundentopf immer kleiner wird. Die Versicherer sind auch gezwungen, seit 2011 einen zusätzlichen Kapitalpuffer anzusparen, um in Zeiten niedriger Zinsen auch langfristig die Garantien aus hochverzinsten Altverträgen bedienen zu können: die sogenannte Zinszusatzreserve. Mit welchen Geldern diese Rückstellungen gefüttert werden müssen, darauf haben die Versicherer keinen Einfluss, es ist ihnen durch den Gesetzgeber nach einem bestimmten Rechnungsverfahren vorgeschrieben. Sie ächzen selbst unter der hohen Last.

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Allein die Zinszusatzreserve drückte den Rohüberschuss der Lebensversicherer im Jahr 2016 von 22,7 Milliarden Euro auf 10,4 Milliarden Euro. Es handelt sich hierbei aber keineswegs um Geld, das an Aktionäre ausgeschüttet wird, im Gegenteil. Der Topf soll auch sicherstellen, dass die Beteiligung von Kunden, die sich jetzt erstmals ihre Leben-Police auszahlen lassen, nicht zu Lasten späterer Sparer geht, denen dann die Gelder fehlen. Schließlich haben die Versicherer im Niedrigzins auch immer mehr Probleme, die Kundenbeiträge gewinnbringend anzulegen. Von 2010 bis 2016 haben die Versicherer rund 44,1 Milliarden an Reserve angespart.

"Abgeführte Gewinne stärken Eigenkapital"

Den Vorwurf, die Lebensversicherer prellen ihre Kunden, will der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) folglich nicht auf sich sitzen lassen. „Herr Schick liegt falsch mit seiner Aussage, dass die Niedrigzinsphase „voll zu Lasten der Versicherten“ gehe und die Versicherer ihre Gewinne „wie eh und je“ einstrichen“, positioniert sich ein Sprecher gegenüber dem Versicherungsboten.

So sei auch die geäußerte Kritik an den Gewinnabführungsverträgen unbegründet. Denn ein großer Teil der abgeführten Gewinne fließe als Eigenkapital zurück in die Lebensversicherern und stärke damit die Risikotragfähigkeit der Unternehmen. "Zwischen 2011 und 2016 haben die Lebensversicherer rund 3,7 Milliarden Euro an zusätzlichem Eigenkapital aufgebaut. Die Kunden profitieren davon unmittelbar – ihre Leistungsansprüche sind in einem unverändert herausfordernden Niedrigzinsumfeld dauerhaft gesichert", so der GDV-Sprecher.

"Richtig ist: Die Lasten des Niedrigzinsumfeldes werden fair zwischen Versicherten und Versicherern geteilt", so der GDV-Sprecher. Er rechnet vor: "Mit dem für die Versicherten erwirtschafteten Garantiezins, dem Rohüberschuss und der Zinszusatzreserve haben die Versicherer im Zeitraum 2011 bis 2016 rund 256 Milliarden Euro erwirtschaftet. Davon gingen 96,3 Prozent an die Versicherten (rund 246 Milliarden Euro) und nur 3,7 Prozent an die Unternehmen (9,5 Milliarden Euro)."

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Die Versicherer müssen nun fürchten, dass der Gesetzgeber eingreift, sollten sie es mit den Gewinnabführungsverträgen übertreiben. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag kommt demnach zu dem Schluss, dass ein solcher Eingriff verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, wenn es gelte, "Defizite bei der Sicherung der Versichertenansprüche zu beheben".

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