Peter Hawranke hat an der HSBA Hamburg School of Business Administration studiert und war unter anderem als Vertriebsleiter für eine Maklerfirma tätig und Prokurist für ein Insurtech tätig. Er ist Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft Hawranke UG. InsurTech ist ein in der Branche neben dem Wort Digitalisierung viel gebrauchter Begriff, wobei diese Firmen lediglich ein Teil der Digitalisierung darstellen. Hierzu sollten wir erst einmal definieren, was InsurTech bedeutet. In der Studie „Zukunft von InsurTech in Deutschland – InsurTech-Radar“ von Oliver Wyman und PolicenDirekt wird der Begriff wie folgt gefasst:

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  • InsurTech betrifft Versicherungsprodukte, deren Vertrieb und den laufenden Versicherungsbetrieb.
  • InsurTech wird von neuen, nicht etablierten Unternehmen/Start-ups bzw. industriefremden Unternehmen angeboten.
  • Insurtech basiert auf neuen, digitalen Technologien zur Bereitstellung und Erbringung von Leistungen – also von Web-Technologien über neue Programmierverfahren bis hin zu Daten-Analysetechnologien, die bestimmte Geschäftsmodelle erst ermöglichen.

Aber trifft diese tatsächlich auf alle unter InsurTechs gennanten Unternehmen zu? Bezüglich des letzten Kriteriums, wonach die Firmen mit neuen Technologien bestimmte Geschäftsmodelle erst ermöglichen, drängen sich Fragen auf.

Viele Unternehmen haben den Begriff Insurtech nicht verdient

In einer Studie des Analyse- und Beratungshauses KPMG heißt es: „Wir haben bei den InsurTechs kaum etwas gefunden, was mehr gewesen wäre, als Teile des bisherigen Geschäftsmodells von Versicherern mehr oder weniger 1:1 zu digitalisieren. Von echten Innovationen oder gar disruptiven neuen Modellen lassen sich gegenwärtig lediglich erste verhaltene Ansätze feststellen.“ (KPMG Studie, Digitalisierung und Cyber, 2017)

Ein weiteres akademisches Papier von der Hamburg School of Business Administration (HSBA) kommt zu einem ähnlichen Ergebnis und bietet gleichzeitig eine Lösungsperspektive an, basierend auf vorhandenen Technologien, deren Möglichkeiten bislang noch nicht oder nicht im vollen Umfang genutzt werden. Die Arbeit nennt unter anderem die Kombination von verschieden Sensoren, etwa visueller Technologie vernetzt mit Robotik und künstlicher Intelligenz, welche neue Geschäftsfelder generieren könnte. Mit anderen Worten: Die meisten Anbieter auf dem Markt haben die Bezeichnung InsurTech gar nicht verdient.

Es gibt auch keinen echten Online-Versicherer, die ihre Produkte tatsächlich nur in digitaler Form vertreiben. Es gibt lediglich eine Menge Online-Shops für Versicherungsprodukte.

Bei der HSBA-Recherche ist auch aufgefallen, dass die meisten Anbieter inklusive Versicherungsunternehmen Ihren Fokus auf das Privatkundengeschäft gerichtet haben. Das Gewerbegeschäft wird hingegen bis auf von wenigen Ausnahmen wie zum Beispiel bei Hiscox nicht online zum “Instant-Abschluss“ angeboten. Ein Fehler? Könnte der Gewerbekunde nicht auch die gleichen Services moderner Technik nutzen wollen?

Vorschläge für eine breitere Nutzung liegen bereits vor, die eine flexible Kombination von Technologien, Produkten und Services für Privat- und Gewerbekunden nutzbar machen würden, wie ein Thesenpapier der HSBA mit dem Titel "Revolution - Insurance 4.0" aufzeigt.

Die jetzigen Online Shops für Versicherungsprodukte und Online Versicherungsmakler sind eigentlich obsolet und sind nicht der disruptive Faktor, der geignet wäre etablierte Geschäftsmodelle zu verdrängen und den die Branche nach heutigem Stand brauchen würde.

Persönlich beratende Vermittler noch immer wichtigstes Vertriebsfundament

Auch Angst brauchen die Vermittler nicht haben, denn Sie bilden mit ihrer persönlichen Beratung immer noch das Vertriebsfundament für die Versicherungen. Grund hierfür ist, dass es einem Menschen eher gelingt einen anderen Menschen zu überzeugen und auch zu motivieren, als dies einer Maschine oder Software möglich ist. Nur zehn Prozent der deutschen Kunden schließen eine Versicherung ohne persönliche Beratung ab, so das Ergebnis einer YouGov-Befragung (der Versicherungsbote berichtete).

Deutschland ist bezüglich der Finanzierung von InsurTechs weltweit auf Platz 2 mit 6 Prozent, wobei die USA als Erstplatzierte mit 59 Prozent einen deutlichen Vorsprung hat, so eine CBInsights-Studie von 2017. Aber auch in den USA sind diese nicht wirklich innovativ. Der Hype für InsurTechs kann durch Priming erklärt werden, also das wiederkehrende Wachrufen bestimmter Assoziationen, wenn immer wieder Artikel veröffentlicht werden, die die These aufstellen, das alle Versicherer InsurTechs werden sollten.

Aber wer ist dann der Risikoträger der Produkte und wickelt die Schäden ab, wenn alle Versicherungsmakler sind? Wenn Geschäftsmodelle darauf beruhen lediglich kurzfristig für Versicherer und Investoren “sexy“ zu sein, um dann gewinnbringend verkauft zu werden, dann machen die meisten InsurTechs es richtig. Viele Insurtechs konnten Versicherer als Geldgeber gewinnen, so dass zum Beispiel die Allianz bei Simplesurance (Schutzklick) investiert hat.

Es gibt auch positive Beispiele. Komplexe und durchdachte Konzepte wie zum Beispiel Friendsurance haben ihre Daseinberechtigung und könnten durch den Einsatz und Ausbau von Technologien und Services die Gewinner auf dem umkämpften Start-up-Markt sein. Bezüglich der Besucherzahlen der letzten 6 Monate von 2016 landete das Unternehmen mit einem Traffic von 190.500 Zugriffen auf Platz 1 (zum Vergleich: Platz 2 Finanzchef24 mit 68.400 & Platz 3 Schutzklick mit 47.200 Besuchern im gleichen Zeitraum. Quelle: getsurance, 12/2016). Der Traffic läßt Annahmen über die Abschlussquoten und Conversions-Raten zu, die im einstelligen Prozentbereich sein dürften.

Mehr Anstrengungen gefragt

Um tatsächlich innovative und disruptive InsurTechs und Versicherer zu schaffen, müssten hierfür nicht nur die Ausgaben für IT erhöht werden, die sich seit 2011 nur wenig verändert haben, sondern es müßte auch in die Entwicklung neuer Geschäftsfelder für Produkte und Services investiert werden, die über den gewohnten Versicherungshorizont hinausgehen. Dabei reicht es nicht Innovationsräume zu schaffen, die zu weit weg vom Mutterhaus sind. Nein, jede Abteilung sollte aktiv sein und nach Lösungen unter einer geführten Moderation diese ausarbeiten und in die Praxis umsetzen. Doch meistens ist dieses Projekt mit eigenem Personal aufgrund der Auslastung kaum umsetzbar.

Die InsurTechs haben einen entscheidenen Vorteil gegenüber Versicherungen, da Sie keine “Altlasten“ und „Albestände“ berücksichtigen müssen, wenn Sie neue Ideen umsetzen wollen. Die Versicherer haben aber einen riesigen Vorteil gegenüber den InsurTechs, einen starkes Offline- Vertriebsnetz. Wenn das Vertriebsnetz und die Mitarbeiter mit den Implementierungen von neuen Produkten und Services gepaart mit Technologien mitziehen, haben die InsurTechs das Nachsehen, da sie selbst in der Regel nicht die Produktgeber sind.

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Die InsurTechs wurden insofern gebraucht, das sie - einfach gesagt - den Versicherungen aufgezeigt haben, das es das Internet gibt, und das man dort auch Versicherungen verkaufen kann. Jetzt bleibt nur die Frage, werden die InsurTechs den Sprung wagen echte Disruptoren zu werden, oder holen sich die Versicherungen das Geschäft ins eigene Haus und startet eine eigene Revolution oder sogar eine Evolution um die Marktanteile? Wer Marktteilnehmer ist, sollte dennoch nicht nur zuschauen, sondern aktiv sein eigenes Geschäft entsprechend für die Zukunft um- bzw. ausbauen.

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