Das Solidarprinzip

Der Versicherungsgedanke basiert auf dem Solidarprinzip. Punkt! In einem Versicherungskollektiv zahlen viele Einzelne zu gleichen oder vergleichbaren Teilen ein für den Fall, dass der Einzelne eine Leistung aus dem Kollektiv benötigt. Charakteristisch für das Solidaritätsprinzip ist der Grundsatz also: "Einer für Alle und Alle für Einen.". Durch Telematiktarife, Fitnesstarife und alles was da an Selektionsmöglichkeiten mit Sicherheit noch kommt, wird das Solidarprinzip jedoch ausgehebelt.

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Kfz-Telematik-Tarife, KV-Fitness-Tarife und die Berufsunfähigkeitsversicherung

Leicht nachzuvollziehen ist die Aus-Selektion an der Berufsunfähigkeitsversicherung. Versicherungsvermittler, die Handwerker versichern wollen, können ein trauriges Lied davon singen. Dachdecker, Berufskraftfahrer, Fliesenleger und viele andere Berufe zu bezahlbaren Beiträgen, mit ausreichender Rentenhöhe und zum eigentlich erforderlichen Endalter abzusichern, ist in dieser Kombination fast nicht vorhanden.

Meistens kann der eigentlich benötigte Schutz nicht erreicht oder nicht bezahlt werden. Was bleibt ist eine schlechtere Lösung über Alternativprodukte. Solidarprinzip? Fehlanzeige! Die Berufsgruppeneinteilung in der Berufsunfähigkeitsversicherung ist sozusagen der Vorläufer der Telematik- und Fitnesstarife.

Im Alter ohne Kfz-Versicherung?

Finden Senioren zukünftig nur noch schwer eine bezahlbare Kfz-Versicherung? Der Gedanke ist gar nicht so abwegig, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Kfz-Versicherungen werden schon heute auch nach dem Alter des Fahrzeugführers berechnet. Rentner zahlen für ihre Kfz-Versicherung mehr als etwa 40-jährige Fahrzeughalter. Kommen Telemetrie-Daten und weitere Selektionskriterien hinzu, wird es zukünftig für Rentner wohl noch teurer.

Beispiele könnten in etwa so aussehen:

  • wenig gefahrene Kilometer = fehlende Fahrpraxis = erhöhtes Unfallrisiko
  • permanent erhöhte Radiolautstärke = schlechtes Gehör = erhöhtes Unfallrisiko
  • älteres Fahrzeugmodell = weniger Assistenzpakete = erhöhtes Unfallrisiko
  • etc.

Schon jetzt zahlt ein 77-Jähriger gut 70 Prozent mehr für seine Kfz-Versicherung als ein 47-Jähriger mit ansonsten gleichen Angaben, so eine Analyse des Vergleichsportales Verivox. Das gilt selbst dann, wenn die Senioren einen hohen Schadensfreiheitsrabatt mit der maximalen Zahl an unfallfreien Jahren vorzeigen können. Ursache ist, dass die Älteren im Durchschnitt auch ein höheres Unfallrisiko haben. "So könnte sich der Seniorenzuschlag in der Autoversicherung als Fahrverbot durch die Hintertür entpuppen - weil die Police für viele unbezahlbar wird", warnt die "Süddeutsche Zeitung". Ungeklärt ist darüber hinaus, wie und für was die aufgezeichneten Telemetrie-Daten nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft verwendet werden.

Die Fitness-Tarife in der Lebens- und Krankenversicherung

Zur Wirkweise von Fitness-Tarifen sollten sich Verbraucher und Vermittler ein paar einfache Fragen stellen. Was passiert mit den Beiträgen dieser Fitness-Tarife, wenn Kunden älter und nicht mehr so fit sind oder chronisch krank werden? Also genau zu dem Zeitpunkt, zu dem sie die Versicherung wohl am ehesten brauchen werden? Können Kunden die Versicherung dann noch bezahlen? Haben die von den Versicherern gesammelten Daten tatsächlich "nur" Auswirkung auf den abgeschlossenen Tarif oder später vielleicht auch auf andere Tarife? Werden die in einem Fitness-Tarif gesammelten Daten dann plötzlich auch zur Beurteilung und Beitragskalkulation der Kfz-Versicherung herangezogen? Werden Kunden mit den zwischenzeitlich von den Versicherern gesammelten Daten später eine neue Versicherung abschließen können und das auch in einem ganz anderen Bereich?

Die Verbraucherschützer

Anstatt sich um dauerhaft bezahlbare, dem Solidarprinzip entsprechende Versicherungen zu kümmern, tummeln sich Verbraucherschützer derzeit lieber auf Nebenkriegsschauplätzen. Viel lieber wird auf Versicherungsvermittlern aller Art eingehackt. Provisionen gehören gekürzt oder sogar verboten.

Das genau diese Versicherungsvermittler und auch Versicherungsberater immer öfter mit außergewöhnlichem Zeitaufwand nach bezahlbaren und sinnvollen Lösungen für ihre Kunden suchen müssen, dies scheint den Verbraucherschützern entgangen zu sein. Aktuelle Beispiele für die schwere Arbeit der Versicherungsvermittler sind zum Beispiel die Berufsunfähigkeitsversicherung, die Wohngebäudeversicherung inklusive aller Elementarrisiken und die Fortführung der privaten Vollkrankenversicherung zu bezahlbaren Beiträgen im Alter.

Ihre eigentliche Aufgabe scheinen die Verbraucherschützer vergessen zu haben: Verbrauchern muss ein solides staatliches Grund-Absicherungssystem zu Verfügung stehen. Allerdings ist das in Sachen Berufsunfähigkeit bereits so gut wie abgeschafft. Soweit, so schlecht. Dann müssten Verbraucherschützer jedoch zum Beispiel wenigstens dafür sorgen, dass Verbraucher bezahlbaren Schutz zum Risiko Berufsunfähigkeit in der privaten Versicherungswirtschaft erwerben können. Aber auch hier: Fehlanzeige, was ein erfolgreiches Wirken der Verbraucherschutzverbände in Richtung Gesetzgeber anbelangt.

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Die Politik

Ja, die Politik darf nicht in den Wettbewerb eingreifen. Das ist richtig und gut so. Aber sie darf, nein sie muss: vernünftige Rahmenbedingungen schaffen. Es wäre tatsächlich eine sinnvolle Aufgabe für die Europäische Union und für Vertragsverhandlungen in Sachen TTIP, CETA und so weiter, das Solidarprinzip in der Versicherungswirtschaft weltweit festzuschreiben und dessen Aushöhlung durch die ausufernde Risikoselektion generell zu untersagen. Ziel muss es sein, dass für alle Marktakteure die gleichen Voraussetzungen gelten. Dringend benötigter, sinnvoller Versicherungsschutz muss für Jedermann bezahlbar und erhältlich sein; jetzt und auch in Zukunft.

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