Fantastische Fantasterei. Stellen wir uns vor, eine Lebensversicherung schriebe ihren Kunden nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom Dienstag einen solchen Brief (im Folgenden in der seltenen Version eines ehrlich formulierten Textes; unverschwurbelt):

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Unvorstellbar:

„Sehr geehrter Herr Normalverbraucher, mit Ihrem Lebensversicherungsvertrag haben Sie uns ein gemäß Bundesgerichtshof-Urteil vom 21. Februar 2017 ein Darlehen gegeben. Hierfür zahlen wir Ihnen seit vielen Jahren schon (zutreffendes ankreuzen) (X) 4,0 Prozent / ( ) 3,25 % / ( ) 2,75 % Garantiezins auf den Sparanteil Ihres Beitrags. Dieser Vertrag ist uns wegen der mies-niedrig-flachen Kapitalmarktlage – weil es sich tatsächlich um ein Darlehen handelt - nicht mehr zuzumuten. Wir bitten um Ihr Verständnis, dass wir dieses Darlehen nun mit einer Frist von sechs Monaten zum 31. August 2017 kündigen und Ihr Vertragsguthaben zu diesem Termin auf das uns bekannte Beitragskonto überweisen werden(*). Mit freundlichen Grüßen.“

(*) --- eher werblich --- Ihre neue Chance!!! Nutzen Sie alternativ unsere neue Traumpolice, die Friede, Freude, Eierkuchen und gesmoothe Core-Satellite-Dreitopf-Hybride mit Wall-Box und aktiver Gelassenheit innovativ-attraktiv dummdeutsch weiter formulierter Fantasien unserer Werbetexter vernebelt!!!

Lebensversicherer dürfen das nicht

Nein! Lebensversicherer dürften solche Briefe nicht verschicken. Sie müssen auch in der Mangelsituation (hoher Zahlzins, niedriger erlösbarer Marktzins) ihre Verträge einhalten.

Denn Lebensversicherungsverträge sind keine Darlehen, sondern reine Sparverträge. Zum Glück! Sonst gelte, oder gar gällte (von Galle) der Paragraf 489 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Zu diesem Paragrafen und zu Bauspar-Policen, pardon -Verträgen sprach der Bundesgerichtshof an diesem Dienstag Recht. Unrecht, wie der Heribert Prantl von der „Süddeutschen Zeitung“ am selben Dienstag, dem 21. Februar anno Domini 2017 es lesenswert kommentierte:

Eine Regel der Juristerei lautet: „Pacta sunt servanda“. Zu Deutsch: Verträge sind einzuhalten; dies betonte Prantl, Jurist, Journalist und eines der deutschen – nicht nur journalistischen – Gewissen zu dem Urteil des BGH. Der hat es den Bausparkassen erlaubt, Bausparverträge zu kündigen, die länger als zehn Jahre zuteilungsreif sind (der Versicherungsbote berichtete). Prantls These und die des Autors dieser Zeilen ist, der BGH stärke die Starken. Er schreibt: „Der Bundesgerichtshof hat mit juristisch interessanten, bankenfreundlichen Winkelzügen das Recht der Verbraucher ausgehebelt.“

Die Bausparkassen. Die nun rund 250.000 Kunden oder mehr ihre gut verzinsten Bausparverträge wegkündigen dürfen. Merke: In dem am Dienstag am BGH entschiedenen Fall ging es um fünf Prozent Bausparzins. Habenzins. Heutzutage eine Quengelware.

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Das materielle Problem der Bausparkassen, so eine vertretbare These nicht nur Prantls, wird nun mit einem juristischen Winkelzug, mit dem sich der BGH am Begriff des Darlehensnehmers abarbeitet, für die Kassen beseitigt. Dabei haben die Bausparkassen ihre Verträge in den vergangenen Jahrzehnten auch (!) oft genug als Kapitalanlagen beworben. Nur hat offenbar keiner die Werbebriefe und Prospekte der Bausparkassen dieser Jahre und Jahrzehnte gesammelt und dem Bundesgerichtshof als Beweisanträge vorgelegt. Oder stand jemals ein Aufsteller in den Banken, oft Vertriebspartner der Baukassen, mit diesem Text: „Geben Sie uns ein Darlehen!“? Die Lebensversicherer dürfte das Bausparurteil ärgern, ihren Altkunden dürfte es Freude bereiten.

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