Deutschland gilt weithin als wohlhabendes Land. Der Verwaltungsapparat funktioniert einigermaßen friktionslos und die politischen Verhältnisse sind seit Jahrzehnten relativ stabil. Das Rechtssystem ist gut etabliert und die Wirtschaft – vor allem der Mittelstand – genießt international ein hohes Ansehen.

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Sparweltmeister sind keine Vermögensweltmeister

Christoph Bruns ist Vorstand, Teilhaber und Fondsmanager der LOYS AG. Foto: Bruns/LoysEtwas weniger erfreulich sieht die Bilanz aus, wird die Vermögensbildung der Deutschen betrachtet. Auf diesem Gebiet haben Untersuchungen der Bundesbank und der Europäischen Zentralbank für Aufsehen gesorgt, welche für Deutschland nur bestenfalls durchschnittliche Haushaltsvermögen im Vergleich zu anderen Ländern Europas auswiesen. Insbesondere die im Vergleich mit Deutschland vergleichsweise hohen privaten Vermögen in manchen Krisenstaaten der Euro-Zone hinterließen ein „Geschmäckle“. Dieser Befund ist auch deshalb für die Deutschen leicht kränkend, weil die Bundesrepublik traditionell eine der weltweit höchsten Sparquoten aufweist. Immer wieder wird der deutsche Michel international als „Sparweltmeister“ tituliert. Für die kollektive Psyche sind solche Titel schmeichelnd, ebenso wie die Bezeichnung als „Exportweltmeister“. Allein sie verstellen zunehmend den Blick für dringend notwendige Reformen auf dem Gebiet der Vermögensbildung, zumal das Land seit der Regierung Schröder keine ernst zu nehmende Wirtschaftsreform mehr erlebt hat. Zugespitzt könnte man sogar die Hypothese wagen, Deutschland befände sich längst am Anfang einer schweren Altersvorsorgekrise. Bloß findet eine öffentliche Diskussion darüber gar nicht statt, was wiederum darauf hindeutet, dass es sich hierbei um ein politisches „Verliererthema“ handelt, bei welchem alle Parteien gleichermaßen versagt haben.

Seit der amerikanischen Subprimekrise, die im Jahr 2007 begann und zunächst eine rein amerikanische Immobilien- und Kreditkrise war, sich dann allerdings rasch und mitunter sogar dominant auf viele Länder der westlichen Welt ausweitete, hat sich das grundsätzliche Gefüge für Geldanlagen radikal verändert. Die wichtigen Notenbanken der Welt bugsierten die Zinsen auf die Nulllinie. In Folge wurden über Jahrzehnte tradierte Sparformen wie z. B. die klassische Kapitallebensversicherung, Bausparverträge, Sparverträge, Geldmarktfonds etc. obsolet. Erstaunlicherweise hat sich aber das Sparverhalten zumindest in Deutschland kaum weder der Höhe noch dem Inhalt nach verändert, so dass die gänzlich veränderte Lage an den Zinsmärkten nahezu vollständig ignoriert wird. Dieser Befund trifft übrigens keineswegs nur die sparfreudigen Bürger, sondern hat mittlerweile auch ihren Niederschlag bei veränderungsresistenten institutionellen Anlegern wie z.B. Versicherungen, Pensionsfonds oder Stiftungen gefunden. Die Liste der insolventen Stiftungen, Versorgungseinrichtungen und Versicherer wird täglich länger.

Ebenso wenig war der deutsche Staat willens, seine traditionelle regulatorische und steuerliche Bevorzugung von Zinsanlagen zu überdenken. Man kann sich kaum des Eindrucks erwehren, als wollten Zinsanleger und Staat durch Ignoranz und Nichtstun das Problem in der Hoffnung aussitzen, es würden in der Zukunft die guten alten Zeiten auskömmlicher Zinsen wieder zurückkehren.

Jedoch spricht aktuell nichts dafür, dass die Zinsmärkte alsbald aus ihrem hoheitlich herbeigeführten Ausnahmemodus herausfinden. Denn Staatshaushalte, mittlerweile gewöhnt an die fortwährende Entlastung durch Notenbanken, würden deutlich höhere Zinsraten angesichts eines strukturell schwachen Wirtschaftswachstums (Stichwort: Demographie) und bereits sehr hoher Abgabenquoten ohne drastische Sparanstrengungen nicht schultern können. Dieser Befund gilt keineswegs nur für Griechenland, Spanien, Italien, Frankreich und Portugal, sondern betrifft mutatis mutandis auch die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien und nicht zuletzt Deutschland selbst. Bekanntlich hat das heutige Ausgeben geborgter Gelder zu Lasten der kommenden Generationen eine langjährige Tradition in den genannten Ländern, wenn nicht gar überall auf der Welt. Niemand will auf heutigen Überkonsum verzichten, obwohl er eindeutig den Wohlstand der kommenden Generationen einschränkt.

90 Prozent der deutschen Geldanlagen stecken in Anlageformen mit Zinsen

Wer aber ein wenig Kenntnis von Finanzmathematik besitzt, der ahnt bereits, dass die vielen Niedrigzinsjahre der Vergangenheit, und erst recht jene der Zukunft, zu schwachen Endwerten in der Vermögensplanung nahezu aller Zinsanleger und entsprechender Institutionen führen werden. Blickt man aber in die von der Deutschen Bundesbank regelmäßig veröffentlichten Statistiken zur Verteilung des Geldvermögens, dann zeigt sich sogleich, dass nahezu 90 Prozent der Geldanlagen in Deutschland in Anlageformen mit Zinskomponente getätigt werden.

Hinzu tritt ein weiteres, mindestens so schwerwiegendes Problem wie der Dauerniedrigzins: Die demographische Entwicklung, die bereits im strukturell schwachen Wirtschaftswachstum ihren Niederschlag gefunden hat! Seit mindestens 40 Jahren ist hinlänglich bekannt, dass sich der Altersaufbau der deutschen Gesellschaft insofern verschlechtert, als einer zunehmenden Zahl alter Menschen eine geringer werdende Zahl junger (erwerbstätiger) Menschen gegenübersteht. Da aber das deutsche Rentensystem dem Prinzip der Generationenumverteilung folgt, gerät das gesamte System mit zunehmender demographischer Schieflage ins Kentern. Alle bisherigen Versuche wechselnder Regierungen durch fortwährende Kürzungen (demographischer Faktor!) der Renten und Erhöhungen des Renteneintrittsalters sind aber nur Stückwerk geblieben.

Völlig gescheitert ist obendrein der amateurhaft betriebene politische Versuch, mit der privaten Altersvorsorge ein neues kapitalgedecktes Standbein der Altersvorsorge zu entwickeln. Die Namen Riester- und Rürup-Rente stehen heute für den gut gemeinten und zugleich verfehlten Versuch, private Vermögensbildung staatlich zu fördern. Da die meisten Riester- und Rürup-Verträge ebenfalls zinsgebunden ausgestaltet wurden, kann auch bei ihnen keine auskömmliche Renditeentwicklung erwartet werden. Im Wesentlichen geht es bei diesen Verträgen um das Abgreifen von Staatsknete.

Vonnöten wäre stattdessen eine Abkehr von der Zinsanlage und eine Hinwendung der Vermögensbildung zu den Wertschöpfungsgeneratoren der Volkswirtschaft. Hierzu wäre jedoch ein kompletter Mentalitätswechsel erforderlich, der angesichts der Traditionen und der Überalterung in Deutschland eher nicht zu erwarten steht. Es darf die Kulturhypothese über die Bundesrepublik gewagt werden, dass ein Land, welches keine Kinder, auch keine Aktien besitzen will, eher rückwärtsgewandt ist. Denn für beides benötigt man Zukunftsoptimismus.

Die Einsicht, dass der Wohlstand unseres Landes in aller erster Linie auf der Leistung seiner Unternehmen beruht, dass man sich an dieser Wohlstandsgenerierung beteiligen darf, kann und sollte, scheint ein zu fern liegender Gedanke, wie seine geringe Verbreitung ausreichend belegt. Denn das Instrument der Beteiligung an der Volkswirtschaft ist die Aktie und ihr Durchführungsweg für den normalen Sparer der Aktienfonds. Sowohl Aktien in der Direktanlage als auch Aktienfonds fristen trotz ihrer erwiesenen Vorteilhaftigkeit vor allem in Hinsicht auf Rendite, aber auch bezüglich der Liquidität, gegenüber Zinsanlagen in all ihren Erscheinungsformen ein Schattendasein. Fassungslos registriert man, dass fast zwei Drittel der Aktien großer Deutscher Aktiengesellschaften mittlerweile im Besitz ausländischer Eigentümer befindlich sind.

Zum Sparen traditioneller Prägung gibt es heute zwei sinnvolle Alternativen, sofern man zustimmt, dass ein Beibehalten am obsolet gewordenen Zinssparen – in welchen zinsgebundenen Produkten auch immer - irrational ist.

Heute ist der Konsum zu einer veritablen Alternative zum überkommenen Zinssparen geworden und es hat ganz den Anschein, als ob viele Bürger genau diesen Weg verstärkt gehen. Freilich nehmen sie dadurch in Kauf, dass sie in der Altersvorsorge in völlige Staatsabhängigkeit geraten und es bekanntlich um die Staaten selbst nicht allzu gut bestellt ist.

Die zweite Alternative bejaht die Notwendigkeit des Sparprozesses ausdrücklich, weicht jedoch den Problemen ihrer traditionellen Formen aus, indem sie auf das Investieren in die – bestenfalls internationale - Wirtschaft setzt. Um diesen Weg konsequent zu gehen, ist vom Anleger gefordert anzuerkennen, dass materieller Wohlstand nur in Unternehmen erarbeitet wird und die Existenz von Börsen den Einzelnen dazu befähigen, sich an diesem zu beteiligen. Dieser Gedanke, der für Amerikaner, Schweizer und Briten selbstverständlich ist, scheint aber in Deutschland einem Dreifachoxer mit Wassergraben zu ähneln.

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Es wird spannend sein, zu sehen, ob Deutschland auf dem Gebiet des Vermögensaufbaus seinen renditeschwachen Sonderweg fortsetzen wird oder ein Wandel möglich ist. Alle Risikofetischisten seien zuletzt noch auf ein altes Börsenbonmot verwiesen, welches da heißt: Es ist ein Risiko, Aktien zu besitzen. Ein noch größeres Risiko ist es, keine Aktien zu besitzen.

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