Ein Beitrag von Dominik Groenen, Gründer von massUp, mobinco und virado.

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Weshalb die Versicherungsbranche nicht mehr allein in Abschlüssen denken darf“, titelt Oliver Pradettos Beitrag seine Tour über den Horizont des Vertriebs in der Zukunft. Bei dem Titel habe ich gedacht, es geht um Bestandsgeschäft und den Appell des „Feuerschreibers“ an den „Lebenschreiber“, der künftig mehr Sachpolicen verkaufen soll, damit er mehr Bestandsprovision kriegt.

Disruptiv ist kein Element, sondern eine Eigenschaft

Dominik Groenen ist Versicherungskaufmann, Gründer von massup und strategischer Berater für diverse Versicherer zur digitalen Strategie. Stattdessen geht es Pradetto um „Touchpoints“, wie wir noch sehen werden. Ich scheiterte daran, das Gemeinte zu zerlegen. Dabei habe ich mich beim Lesen des Beitrags auf die Seite des Versicherungsmaklers geschlagen und versucht, aus Maklersicht den Text Pradettos zu verstehen. Der spricht zu Beginn von „Robo-Advice“ und künstlicher Intelligenz – ohne dies im Text zu erläutern oder gar aufzugreifen. Weiter spricht der Autor von „verblasenen Werbemillionen“. Meint er die Millionen der Ergo, deren Werbekampagne im Budapest-Skandal unterging? Oder meinte er Knip & Co, die derzeit Teile ihrer Investorengelder in Werbung investieren? Der Leser erfährt es nicht.

Autor Pradetto schreibt, es gehe um „das wirklich ‚disruptive’ (...) revolutionäre Element, das die Branche, wie sie heute besteht, zerstören und neu zusammensetzen wird.“ Zunächst ist „disruptiv“ kein Element, sondern eine Eigenschaft. Weiter soll damit keine Branche zerstört, sondern es sollen überflüssige Schritte von Arbeitsabläufen und nervige Belästigungen – solche „Touchpoints“, wir kommen noch dazu, gibt es auch – des Kunden gestrichen werden, samt unnützer Kosten.

Wer ist „wir“?

„Die Versicherungsbranche denkt seit jeher in Abschlüssen“, verallgemeinert Oliver Pradetto in seinem Beitrag. Und er schreibt: „Wir sind als Branche auf das Neugeschäft fixiert“. Wer ist „wir“? „Je mehr Kundenkontakte man wollte, desto mehr Vermittlerbesuche erforderte es und die sind naturgemäß teuer“, sagt Pradetto. Das ist überhaupt nicht das Hauptproblem im Vertrieb der Zukunft und nicht neu. Selbstverständich haben auch InsurTechs als Kaufleute Ziele in Bezug auf Kundenanzahl, Ertrag pro Kunde und Wachstum.

Was die Versicherungsbranche noch nie konnte und was die InsurTechs der Branche nun vormacht: Sie lassen Kunden sprechen und hören zu. Vermittler und Versicherer können nur schlecht zuhören. Bisher lancierten die Versicherer vorgefertigte Produkte, die in schlauen Abteilungen bei den Versicherern entwickelt werden. Niemand der Herrschaften in den Finanzkonzernen hat wirklich mal Kunden gefragt.

Sachmakler achteten schon immer auf Bestand-„Touchpoints“

Oliver Pradetto schreibt weiter, Kundenkontakte seien „nicht skalierbar, ohne gleichzeitig die Zahl der Vermittler hochzuschrauben.“ Mit dieser These verhebt sich der Autor. Skalieren bedeutet nicht das Vervielfältigen von Kundenkontakten, sondern es meint das Multiplizieren von Geschäftsvorfällen in einem definierten Prozess. „Sämtliche Vergütungsstrukturen ebenso wie die technischen und organisatorischen Strukturen zielen in der Hauptsache auf das Neugeschäft“, sagt Pradetto. Wirklich? Das Beschriebene trifft auf traditionelle, anscheinend altmodische Sachmakler nicht zu. Diese nicht kleine Gruppe der Vermittler lebt von und hegt und pflegt ihren Bestand. Traditionelle Wald-und-Wiesen-Makler im besten Sinne.

Aber bleiben wir beim alten Sachmakler. Dessen Welt dreht sich schrittweise, eben durch InsurTechs. Auch der wird von der neuen Versicherungswelt disruptiert, auch dessen Geschäftsmodell wird unterbrochen, indem sich InsurTechs mit kürzeren Prozessschritten dazwischenschieben. Etwa indem sie Hausrat- oder Haftpflichtpolicen (und demnächst die Gewerbepolice?) direkt aus dem Smartphone heraus an den Kunden verkaufen. Ohne Makler. Siehe Helvetias neue Hausratpolice.

Moralethik und Betriebswirtschaft vermischt

„Touchpoints verschieben das Wertesystem des cleveren Kaufmanns“, heißt es bei Oliver Pradetto. Wer hier als Leser stolpert, der stolpert mit Grund: Der Begriff Wertesystem ist definiert als „Gesamtheit der positiven Eigenschaften und Tugenden, die in einer Gesellschaft hoch angesehen werden“. Nur, was hat Tugendethik (etwa des ehrwürdigen Kaufmanns) mit betriebswirtschaftlichen Ansätzen zu tun? Hier fehlt mir mehr Trennschärfe und weniger Beliebigkeit bei den verwendeten Begriffen.

Plötzlich, und nach dem Lesen der ersten Absätze seines Textes völlig unerwartet, erklärt Oliver Pradetto dann doch noch, „digitale Medien und Geräte (...) ermöglichen häufigeren und sogar ständigen Kontakt zum Kunden.“ Und weiter: „Der Kundenkontakt ist fast grenzenlos skalierbar und damit werden Kontakte zur eigentlichen Währung“. Es ist das Grundproblem an dem Text Pradettos. Er drückt sich nicht ausreichend präzise aus. Nicht Kundenkontakte, sondern nur Prozesse sind skalierbar. Kontakte waren schon immer Vertriebswährung, Herr Pradetto. Die Frage ist, wer die Kontakte künftig kontrolliert. Der Vermittler, der auch via App nah am Kunden ist? Oder der Versicherer direkt, der mit zunehmender Standardisierung (einfacher, verständlich) und Skalierung (millionenfach zu vervielfältigender Prozess) punktet?

InsurTechs „denken nicht mehr in der Kurzfristigkeit von Abschlüssen, sondern in "Touchpoints", schreibt Pradetto. Und mit zunehmender Anzahl der Touchpoints habe ein Unternehmen „mehr Gelegenheit (...), Kontakt zum Kunden herzustellen und ihn emotional zu berühren; schließlich zu binden.“ Das ist doch alles nicht neu. Das klingt so, als ob Kundenkontakte der Versicherer bisher bewusst vernachlässigt worden wären. Nein. Die Unternehmen sind lediglich oft gescheitert, Kunden zu binden.

Überflüssige „Touchpoints“ und zero Points

Gehen wir doch mal in die neue InsurTech-Welt hinein. Schauen wir, ob die Finanzindustrie wirklich mehr Kundenkontakte produzieren will. Hier kommt eine Blaupause, die zeigt, dass derzeit Techniken entstehen, die ohne personalintensive „Touchpoints“, langsam hasse ich das Wort, auskommen: Die Axa bringt demnächst in England eine "on demand"-Police an den Mann. Via Smartphone können smarte Kunden dann ihre Laptops oder Smartphones Kurzzeit-versichern.

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Bei Schäden kommt ein mit künstlicher Intelligenz ausgestatteter Chatbot zum Einsatz. Mit diesem neuen Produkt im Smartphone werden überflüssige „Touchpoints“ abrasiert. Solche Berührungspunkte nämlich, für die es aus Sicht wohl nicht nur der Axa keinen Vermittler mehr braucht. Fazit: Keine gute Analyse des Marktes in der InsurTech-Umwelt. Zero Points.

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