Die Methode für Erfolg, wie man aus einem langweiligen Produkt ein interessantes macht, heißt Design Thinking. Und dieser Ansatz ist, anders als McKinsey uns in einem aktuellen Papier Glauben machen möchte, nicht neu. Aber wirksam. Man muss es nur machen. Die Fallstudie zu Design Thinking lässt sich in Hannover betrachten und begehen. Vor zwanzig Jahren machte sich ein Hannoveraner Stadtkämmerer seine Gedanken, was er mit dem darnieder liegenden Zoo der Stadt machen sollte.

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1995 war der Zoo in Hannover schlicht kaputt: die Grünanlagen waren eher als zugewucherte Brachen zu bezeichnen, die Technik marode und der Tierschutz stand wegen katastrophaler Lebensverhältnisse der Tiere auf den Barrikaden.

Zugewucherte Tariflandschaften, marode IT-Systeme

Das gastronomische Highlight des Zoos war eine heiße Brühwurst. Und bei der Lebensversicherung? Deren inneren Zustand beschreibt McKinsey aktuell in einem Papier zur Zukunft der Branche. Um im Bild des Hannoveraner Zoos zu bleiben: Die Versicherer kämpfen mit zugewucherten Tariflandschaften. Das ist inzwischen auch für den Laien, wenn er Zeitung liest, daran erkennbar, dass viele Unternehmen alte Vertragsbestände loswerden wollen; besser bekannt als Run-Off, bei dem andere Versicherer die Bestände übernehmen und verwesen.

Run-Off hat neben schweren Garantielasten, die der Versicherer loswerden will, auch mit den maroden IT-Systemen der Unternehmen zu tun. Jeder an andere Unternehmen (Verweser) abgegebene Bestand befreit die Versicherer meist auch von mehreren Uralt-IT-Inseln. Denn meist werden genau die Kundenportfolios abgegeben, deren IT sich nur noch zu untragbaren Kosten beherrschen ließe. Ob unattraktive Zoos, in die keiner mehr gehen mag oder eine Lebensversicherung, die keiner mehr sehen mag, die Herausforderung ist für Versicherungs- und Zoodirektoren dieselbe: Schaffe eine Vielzahl attraktiver Kontakte zum Kunden, neudeutsch Touch-Points.

Lebensversicherer haben nach Erhebungen von McKinsey pro Jahr etwa zwei Kontakte zu ihrem Kunden. Banken, die ihren Kunden sicherlich kein Erlebnisprodukt anbieten, kommen auf 110 Kontakte zu ihren Kunden.

Was ist Design Thinking?

Design Thinking ist per definitionem zunächst einmal keine Methode, auch kein Waschzettel oder Rezept, wie man Altes auf neu oder Schlechtes auf gut dreht. Design Thinking ist ein Denkansatz, der sagt: Holt alle Experten aus allen Fachgebieten zusammen. Letzteres ist bereits bekannt als so genannter interdisziplinärer Ansatz: Unterschiedliche Experten an einen Tisch, redet, diskutiert. Design Thinking geht vereinfacht gesagt zwei Schritt weiter und sagt:

  • 1. Nehmt euer Produkt auseinander, betrachtet jeden Punkt. Vor allem jene Punkte, wo euer Kunde das Unternehmen und das Produkt wahrnehmen kann: das ist jede Form von Kommunikation und Bildern.
  • 2. Setzt euer auseinander genommenes Produkt neu zusammen. Testet im Kleinen. Funktioniert die neue Idee, der neue Aufbau, egal ob ein Zoogehege oder eine Webseite für Kunden, die ab morgen Lebensversicherungen kaufen sollen? Dann das neue Modell vergrößern auf weitere Produkte, andere Kundenzielgruppen oder mehr Marktregionen.

Kreativprozess: Idee, Attrappe, Prototyp, Serie.

Der Zoo in Hannover stellte sich im Kreise seiner Experten von Marketing bis Management folgende Fragen: Warum kommen die Leute in den Zoo? Wofür geben sie Geld aus? Wie macht man effektive Werbung? Wie bringt man die Gäste dazu, länger zu bleiben? Lebensversicherer (und nicht nur diese) sollten sich ähnlich gesehen fragen: Warum kaufen Menschen eine Lebensversicherung? Für welchen Nutzen geben sie Geld aus? Wie macht man effektive Werbung? Wie bringt man die Gäste dazu, länger (etwa auf der Webseite) zu bleiben?

Den kreativen Prozess von der Idee bis zur Serienproduktion der Dienstleistung beschreibt McKinsey in drei Entwicklungsphasen: Idee, Attrappe, Prototyp, Serie.

Ersetze das Wort Zoo durch das Wort Lebensversicherung

In Hannover zerlegten die Manager den Besuch ihres Zoos in einzelne Prozesse, betrachteten sozusagen buchstäblich jeden Schritt ihrer Besucher einzeln. Und setzten am Ende eine Erlebniskette zusammen zu einem großen, schrittweise gestalteten Gesamtprozess namens Zoobesuch. Im Grunde handelt es sich dabei um einen Algorithmus, also eine Abfolge von Regeln. Hier eine Anweisung für den Lebensversicherungs-Manager: Ersetze Zoo durch Lebensversicherung.

Konkret ersetzte der Zoo die Gitter der Tiergehege durch Glasscheiben, schuf durch Themenwelten für die zoologischen Regionen Afrika oder Australien und weitere Maßnahmen am Ende eine lange laufenden Umbau-Prozesses einen Erlebniszoo, verfünffachte innerhalb von 15 Jahren den Umsatz und schuf 250 Arbeitsplätze. Diese Ergebnisse beruhen auf der Analyse der Besucher und ihrer Wünsche, Punkt für Punkt, Touch-Point für Touch-Point sozusagen.

IT-Systeme umschmeißen (teuer)

Zoo oder Lebensversicherung? Egal. McKinsey weist aber in seinem Papier deutlich darauf hin, dass es nicht genügt, einzelne Stellen, an denen Versicherung auf Kunde trifft, zu verbessern. Vielmehr müssen die Versicherer aus Sicht der Unternehmensberater den Mut haben, ihre IT-Systeme (teuer!) umzukrempeln. Aus technologischen, verstreuten Inseln müssen zusammenhängende Kontinente werden: ein IT-System. Ein Beispiel, den Kontakt zu Kunden zu verbessern, sind etwa kleine Hilfsrechner. Tools, mit denen Kunden ihre Rente ausrechnen können oder Pflegekosten, die im Falles des Falles entstehen.

Die wenigsten dieser kundenfreundlichen Hilfsprogramme lassen sich, so McKinsey, in bestehende Systeme der Versicherer integrieren. Vielmehr schafft aus deren Sicht jedes neue Service-Tool für den Kunden eine neue technologische Insel. Zwar wird durch diesen Mehr-Service das Kundenerlebnis verbessert, aber zugleich wird die IT immer weiter zergliedert. Teuer. Also muss letztlich, so die Analyse von McKinsey, die gesamte IT-Landschaft bei den meisten Versicherern neu aufgebaut und die alte Computerwelt umgeschmissen werden. Das ist extrem teuer, sagt McKinsey, weswegen nur wenige Lebensversicherer diesen revolutionären Schritt gehen.

Mehr und bessere Kontakte zum Kunden

Services der Versicherer für die Kunden haben für diesen auch unsichtbare Stellen: schnellere Prozesse zum Beispiel, mit denen der Versicherer seine Kommunikation zum Kunden intensiver und schneller macht. Kunden kann (nicht nur) ein Lebensversicherer besser binden, wenn er etwa bei Angeboten schnellere und einfachere Selbstbedienung anbietet (Kundenportale) und wenn die Risikoprüfung beschleunigt wird. Und: Wenn bei Ablehnungen eines Risikos dem Kunden zugleich eine alternative Police angeboten würde: „Produkt A geht leider nicht, lieber Kunde, aber wir können Ihnen Produkt B anbieten. Greifen Sie zu“. Um vorstehenden Satz zu produzieren muss man allerdings Massen an Kosten aufwenden, damit eine entsprechend vernetzte IT dazu in der Lage ist.

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Kurzum: Lebensversicherer brauchen mehr und bessere Kontakte zu ihren Kunden. Letztlich gelingt den Unternehmen dies durch eine – neue, teure – Technologie, die zusammenpasst. Jeder Schritt, jeder Kontakt des (künftigen) Kunden muss in der Prozesskette kritisch beäugt, analysiert und optimiert werden. Verbunden mit der Frage: Was erlebt der Kunde hier, was erwartet er hier?

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