Menschen mit Risikoberufen haben es zunehmend schwer, eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen. Die Versicherer sieben strenger aus, und wer als Dachdecker in luftige Höhen steigt oder eine Vorerkrankung hat, muss damit rechnen, dass sein Antrag abgelehnt wird oder er einen saftigen Risikozuschlag zahlt.

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Ein Makler, der diese bedenkliche Entwicklung mehrfach kritisiert hat, ist Gerd Kemnitz aus dem sächsischen Stollberg. Er rechnet vor: Während eine BU-Rente von 1.000 Euro für einen 30jährigen Notar ab 34 Euro Monatsbeitrag zu haben ist, muss ein Kraftfahrer, der deutlich weniger verdient, mindestens 150 Euro für seine BU-Versicherung zahlen. Und das, falls er gesund sein sollte: Eine Krankheit führt zu weiteren Aufschlägen.

Erwerbsunfähigkeitsversicherung – eine preiswerte Alternative zur BU?

Alles kein Problem, argumentieren manche Versicherer und Vermittler. Es gebe ja preiswerte Alternativen, falls der BU-Schutz aus finanziellen oder gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist. Als eine Lösung wird der Abschluss einer Erwerbsunfähigkeitsversicherung empfohlen. Diese biete ebenfalls eine Grundabsicherung beim Verlust der Arbeitskraft. Doch wie überzeugend ist dieses Argument? Es ist ein Schutz mit Lücken und Tücken, wie Makler Kemnitz in einer Pressemeldung argumentiert. Denn nur eine vollwertige BU berücksichtigt den bisherigen Beruf des Versicherten.

„Eine Erwerbsunfähigkeitsrente wird in der Regel nur dann gezahlt, wenn die versicherte Person überhaupt keine Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes mehr für mindestens 3 Stunden täglich nachgehen kann“, erklärt Kemnitz. „Bei der Prüfung auf Erwerbsunfähigkeit bleiben also der bisher ausgeübte Beruf und die bisherige Lebensstellung völlig unberücksichtigt.“ Im Klartext: Wenn ein Uni-Professor oder ein Handwerksmeister noch für 3 Stunden täglich als Pförtner arbeiten können, muss der Versicherer nicht zahlen.

Bedenkt man, wie lückenhaft eine solche Police die Arbeitskraft absichert, erscheint eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung nicht mehr ganz so preiswert. Für einen Tarif mittlerer Qualität müsse zum Beispiel ein 30jähriger Dachdecker zwischen 64 und 109 Euro monatlich zahlen, wenn er eine Rente von 1.500 Euro vereinbart, rechnet Kemnitz vor. Es ist immer noch mehr Geld, als ein Notar für eine vollwertige BU-Versicherung leisten müsste. Kann da tatsächlich von einer preiswerten Alternative gesprochen werden? Auch hierin zeigt sich, wie negativ sich der Trend zur Rosinenpickerei zulasten von Risikoberufen auswirkt.

Oft keine Beitragsbefreiung bei Berufsunfähigkeit

Ein weiterer Fakt zeigt, wie löchrig das Netz ist, welches eine Erwerbsunfähigkeits-Police im Vergleich zur Berufsunfähigkeitsversicherung aufspannt. Viele Krankheiten vollziehen sich langsam und in Schüben. Es kann also passieren, der Versicherungsnehmer erleidet eine lange Phase der Berufsunfähigkeit, bis er letztendlich die Bedingungen für den Erhalt einer Erwerbsunfähigkeitsrente erfüllt. Die meisten Erwerbsunfähigkeitsversicherungen aber sehen keine Beitragsbefreiung bei Berufsunfähigkeit vor, berichtet Kemnitz.

„Wovon soll der Betroffene die Beiträge für diese Versicherung bezahlen, wenn er zunächst „nur“ berufsunfähig, aber noch nicht erwerbsunfähig geworden ist?“, fragt der Versicherungsfachmann. Der Dachdecker aus unserem vorherigen Beispiel müsste weiterhin zwischen 64 und 109 Euro Monatsbeitrag berappen – auch wenn er als Pförtner nur noch 3 Stunden täglich arbeiten kann. Für viele Kunden schlicht ein Ding der Unmöglichkeit. Sie würden ihren Erwerbsunfähigkeitsschutz verlieren.

Kemnitz verweist darauf, dass nahezu alle Lebens- und Rentenversicherungen einen Leistungsbaustein „Beitragsbefreiung bei Berufsunfähigkeit“ anbieten. Wird der Versicherte berufsunfähig, übernimmt dann der Versicherer die weitere Beitragszahlung, das Sparziel bleibt ungefährdet. Warum hat dann nur ein Bruchteil der Gesellschaften eine ähnliche Option für die Erwerbsunfähigkeitsversicherung? Wollen die Anbieter den Erkrankten keinen Schutz bieten? Für die Mehrheit der Vermittler sei die Situation unbefriedigend, so Kemnitz. Er fordert Analysehäuser auf, die Option einer Beitragsbefreiung bei der Beurteilung von Erwerbsunfähigkeitsversicherungen stärker zu berücksichtigen.

Auch Schwere-Krankheiten-Versicherungen sind keine „echte“ Alternative zur BU

Und wie sieht es mit sogenannten Schwere-Krankheiten-Versicherungen aus, die gelegentlich als Alternative für BU-Versicherungen genannt werden? Die auch als Dread-Disease-Versicherungen bekannten Policen versprechen eine finanzielle Absicherung, wenn der Versicherungsnehmer an einer genau im Vertrag definierten Krankheit erkrankt. Auch bei Operationen und dem Verlust von Grundfähigkeiten wie Hören oder Sehen zahlen einige Anbieter einen Einmalbetrag aus.

Selbst diese Versicherungen bieten nur einen lückenhaften Schutz bei Verlust der Arbeitskraft, wie Recherchen des Versicherungsboten ergaben. So sind psychische Erkrankungen, laut GDV mit 32 Prozent derzeit wichtigste Ursache für das Abrutschen in die Berufsunfähigkeit, entweder gar nicht oder völlig unzureichend abgesichert. Auch die zweitwichtigste Ursache für eine BU, Erkrankungen des Stützapparates, werden in den Verträgen in der Regel ausgeschlossen.

Ein zweiter Grund, warum die Verträge kein vollwertiger Ersatz sind: Zwar sichern die Policen die im Vertrag genannten Krankheiten ab. Wer sich aber durch das Kleingedruckte kämpft, oft gespickt mit medizinischen Fachbegriffen, wird feststellen: Oft zahlt der Versicherer nur einen Geldbetrag aus, wenn sich die Krankheit im Endstadium befindet, zum Beispiel bei vielen Krebs-Arten. Die Erkrankung kann aber schon in einem frühen Stadium ein Ausscheiden aus dem Beruf bewirken.

Für bestimmte Erkrankungen, die sehr häufig auftreten, besteht mitunter gar kein Schutz. So werben die Anbieter damit, bei Herzinfarkt eine Leistung zu erbringen. Die häufigste Form eines Herzinfarktes in Deutschland, die sogenannte Angina Pectoris, ist jedoch vom Versicherungsschutz in fast allen Policen ausgeschlossen. Eine Angina Pectoris ist durchaus keine Seltenheit: Über 315.000 Menschen werden mit einer entsprechenden Diagnose jährlich in die Krankenhäuser eingeliefert. Gerade bei Risikoberufen wie Dachdecker, Kraftfahrer oder Gerüstbauer kann eine Schwächung des Herzens dazu führen, dass sie keine schweren Tätigkeiten mehr ausüben können und ihren Beruf aufgeben müssen.

Nur vollwertige BU bietet umfassenden Schutz der Arbeitskraft

Ähnliche Schwächen wie die oben genannten Policen beinhalten im Vergleich zur BU auch andere Biometrieprodukte wie Grundfähigkeits- oder Multi-Risk-Versicherungen. In der Regel bieten sie bei psychischen Erkrankungen nur einen eingeschränkten Schutz oder müssen bei Eintritt der Berufsunfähigkeit noch keine Leistung erbringen, sondern erst bei deutlich schwereren Beeinträchtigungen. Sie können sinnvoll sein, um bestimmte Risiken abzusichern - den Arbeitskraftverlust schützen sie nur lückenhaft.

Gerd Kemnitz hat als Konsequenz bereits vorgeschlagen, sogenannte Unijob-Tarife in der BU einzuführen, um die Bürger besser gegen das existenzbedrohende Risiko des Arbeitskraftverlustes abzusichern. Dann sollen keine Berufsgruppendifferenzierungen mehr bewirken können, dass ein Notar weniger zahlt als ein Bauarbeiter, das Risiko wäre gerechter verteilt.

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"Wünschenswert wäre, dass sich jeder Interessent einen vollwertigen BU-Schutz in angemessener Höhe leisten kann", kommentiert der Makler. "Dann gäbe es auch nichts dagegen einzuwenden, wenn zur Vervollständigung der Angebotspalette auch Erwerbsunfähigkeitsversicherungen mit dem Baustein "Beitragsbefreiung bei Berufsunfähigkeit" angeboten werden".

Gerd Kemnitz / eigene Recherchen