Ein Gespenst geht um in Marketing-Deutschland - das Gespenst mit gelbem Logo und Namen Snapchat. Auch wenn 2016 erst 3 Monate alt ist, muss man nicht Nostradamus sein, um zu erkennen, dass Snapchat in diesem Jahr der Durchbruch in Deutschland gelingen wird. Denn es vergeht kein Tag, an dem ich nicht mindestens zwei neue Artikel zu diesem Thema in meinen Newsfeeds und Timelines vorfinde. Natürlich bin ich berufsbedingt in einer gewissen Marketing-Filterbubble, die wie ein Dampfkochtopf auf Marketingthemen wirkt. Aber wenn sogar die CSU (JA, die CSU! Ja, die konservative, traditionelle, bayerische Partei!) einen eigenen Snapchat-Kanal betreibt, dann ist es höchste Zeit sich einmal genauer mit dieser App zu beschäftigen und zu überlegen, wie sinnvoll sie im Versicherungsmarketing ist bzw. sein könnte.

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Marko Petersohn

Marko Petersohn

Das As im Ärmel der Versicherungsbranche, wenn es um die Kommunikation in der neuen Medienrealität geht. MarKo Petersohn hat mehr als 20 Jahre Erfahrung im Onlinemarketing und ist seit 2010 ausschließlich für die Assekuranz aktiv. Er hilft Gesellschaften und Vermittlern, sich zukunftssicher aufzustellen. Er berät sie beim Thema „digitaler Kommunikation“ und schult die dafür notwendigen Kompetenzen.
Außerdem ist er Gründer der Onlinemarketing Gesellschaft für Versicherungsvermittler, verleiht jährlich den renommierten OMGV Award und verantwortet das Projekt „Digitale Kommunikation, Multikanalfähigkeit und Kollaboration in der Versicherungsbranche“ im Auftrag des Bildungsministeriums NRW und des BWV Bildungsverbandes.

Was ist Snapchat?

Fangen wir mit der Frage an, was Snapchat eigentlich ist. Wie der Name schon sagt, ist Snapchat in erster Linie eine Chat-App und im Social-Media-Kosmos somit eher mit WhatsApp als Facebook zu vergleichen. Das Einzigartige an Snapchat ist, dass es ermöglicht Fotos und Videos an Freunde zu versenden, die nur eine bestimmte Anzahl von Sekunden sichtbar sind und sich dann selbst "zerstören". Es ist somit ein sehr privates, kurzweiliges und unverbindliches Chatvergnügen, bei dem man sich keine Sorgen machen muss, wer die Snaps, wie man Inhalte auf Snapchat nennt, noch alles sieht.

Zusätzlich zur Chatfunktion bietet Snapchat seinen Nutzern die Möglichkeit Stories zu veröffentlichen, die all jene sehen können, die ihm folgen. Eine Story ist im Prinzip eine Art Filmstreifen, in dem alle öffentlichen Snaps der vergangenen 24 Stunden chronologisch zusammengefasst sind. Im Gegensatz zu den privaten Chats können Snaps in einer Story zwar mehrfach angeschaut werden, nach 24 Stunden sind sie allerdings auch nicht mehr verfügbar. Im Prinzip sind die Stories viel eher Fernsehen als Facebook. Denn die Snaps haben in gewisser Art eine vergängliche Live-Qualität und werden nicht ewig angezeigt. Außerdem erscheinen sie auch nicht automatisch in einem Newsfeed, sondern man muss, wie bei TV-Sendern, die Stories aktiv anklicken, um die Inhalte zu sehen.

So werden Stories bei Snapchat angezeigt - und nach 24 Stunden wieder gelöscht. support.snapchat.com/en-US/a/view-stories

Wenn wir auf die inhaltliche Ebene gehen, dann zeigt sich, dass Snapchat seinen Fokus ganz klar auf die visuelle Kommunikation legt. Was bedeutet, dass es eine Vielzahl an Filtern und Möglichkeiten gibt, Bilder und Videos zu bearbeiten. Aus diesem Grunde werden fast nur Bilder und 10-Sekunden-Videos versendet und veröffentlicht. Mit Blick auf die Art der Kommunikation ist die App somit viel näher an Instagram als an Facebook.

Seit dem neuesten Update ermöglicht Snapchat nun auch Telefonie und Videotelefonie unter den Nutzern, was die Annahme untermauert, dass die App auf immer mehr Ebenen zu einem relevanten Kommunikations- und Unterhaltungsmedium wird (bzw. in den USA schon ist).

Zahlen und Fakten zu Snapchat

Wie wir gesehen haben, ist Snapchat von der Funktionsweise eher mit WhatsApp bzw. dem Fernsehen als Facebook zu vergleichen und auf der Inhaltsebene eher mit Instagram. Trotzdem wird es aktuell als DER Herausforderer für den blauen Riesen gehandelt. Und das nicht zu Unrecht, wie die Zahlen zeigen.

Aktuell hat Snapchat weltweit mehr als 200 Millionen Nutzer und in Deutschland mehr als 3 Millionen mit stark steigender Tendenz. Im Gegensatz zu Facebook, wo man mittlerweile nicht nur mit den eigenen Eltern, sondern sogar den Großeltern vernetzt ist, ist Snapchat außerdem ein äußerst junges Netzwerk.

Allerdings ist es nicht nur ein sehr junges und stark wachsendes Netzwerk, sondern auch ein äußerst aktives. So veröffentlichen zum einen 54 Prozent der Nutzer täglich Inhalte und zum anderen erzielen die 200 Millionen Snapchater täglich 7 Milliarden Video-Aufrufe. Um diesen Wert in Relation zu setzen: Facebook hat über 1 Milliarde Nutzer und kommt auf 8 Milliarden Video-Aufrufe täglich.

Snapchat: Geteilte Bilder im Vergleich zu anderen Social-Media-Netzwerken.

Snapchat als Marketingkanal für Versicherungen?

Wer Vorträge, Webinare oder Seminare von mir kennt, weiß, dass ich stets das #Neuland und damit verbunden die Besiedelung Nord-Amerikas als Gleichnis für Aktivitäten in der Onlinewelt verwende. Damals wie heute gilt es Claims abzustecken, neue Kulturen zu verstehen und völlig neue Geschäfts- und Gesellschaftsmodelle zu entwickeln. Und damals wie heute gibt es ebenfalls eine Vielzahl an Glücksrittern, die auf der Suche nach Eldorado sind. Geht es nach der Onlinemarketing-Community, dann befindet sich dieser sagenumwobene Ort von vermeintlich unendlichem Reichtum derzeit auf Snapchat.

Aktuell wird von Social Media- und Onlinemarketing-Experten ein Hype um Snapchat kreiert, der an Google+ erinnert. Im Gegensatz zum Google-Netzwerk unterscheidet sich die App allerdings elementar von Facebook und bietet beeindruckende Zahlen, dass sie tatsächlich „the next big thing“ in Sachen Social Media zu werden scheint. Die junge Zielgruppe, die Aufmerksamkeit und die hohe Interationsfreude sprechen eine deutliche Sprache.

Anders sieht es bei der Frage nach Snapchat als strategischen Marketingkanal aus. Denn die App bietet derzeit fast keine KPIs und wenn, dann ohne große Aussagekraft. So kann man zwar sehen, wie viele Nutzer die eigenen Stories gesehen haben, aber es ist nicht möglich dieses in Relation zu allen eigenen Followern zu setzen, denn diese werden nirgendwo angezeigt. Wie soll man also Erfolge messen und sie mit den anderen Online-Aktivitäten vergleichen?

Ich weiß, die Frage nach Kennzahlen scheut man im Social-Media-Marketing gerne, denn man versteht sich als kreative Avantgarde und abstrakte KPIs sind das Gegenteil davon. Aber wie Peter Drucker sagte: „Was man nicht messen kann, kann man nicht steuern.“ Falls Sie sich im Versicherungs-Marketing befinden und überlegen Snapchat als Kommunikationskanal zu nutzen, sollten Sie das Folgende bedenken:

  1. Sichern Sie sich auf jeden Fall ihren Unternehmensnamen auf Snapchat, so können Sie sicher gehen, dass niemand in ihrem Namen spricht und damit eventuell Schindluder treibt.
  2. Snapchat als Kundenkanal wie WhatsApp? Ganz abgesehen von Datenschutzrecht stellen Sie sich bitte vor, dass ein Kunde einen Schaden melden möchte, eine Frage oder eine Beschwerde hat und Ihnen Snaps zukommen lässt, die sich nach einmaligem Anschauen verflüchtigen. Wüschen Sie sich so etwas von ihrem Versicherer? Glauben Sie, dies steigert das Vertrauen in die Versicherung? Sie stimmen mir sicherlich darin zu, dass sich die private Chatfunktion (noch) nicht für die Kundenkommunikation eignet.
  3. Es bleibt somit die öffentliche Kommunikation über Stories, welche sich derzeit eigentlich nur für Branding-Aktivitäten eignen. Dafür empfiehlt es sich jedoch nicht, einen eigenen Kanal zu etablieren, sondern es ist weitaus sinnvoller, sich die Aufmerksamkeit bei einem passenden, erfolgreichen Snapchatter einzukaufen. Sponsern Sie Beiträge oder schalten Sie direkt Werbung. Er hat die Reichweite und Sie erreichen mit ihm sicherlich mehr Menschen, als Sie je selbst auf ihrem Account erreichen könnten. Denn überlegen Sie, über welchen langen Zeitraum Sie flüchtige Snapchat-Inhalte produzieren müssten, welche nach 24 Stunden im Nirvana verschwinden, um die gleiche Reichweite zu erzielen. Zusätzlich müssten Sie noch in anderen Medien ihren Snapchat-Account und ihre Inhalte bewerben. All das kostet Geld und mit Sicherheit mehr, als Sie für einen gesponserten Snap bei einem einflußreichen Snapchatter ausgeben.
  4. Sie sollten nicht vergessen, dass Snapchat eine enorm junge Nutzerschaft hat und alle Studien / Befragungen zeigen, dass die junge Zielgruppe bei dem komplexen Thema „Versicherungen“ in erster Linie bei Vertrauenspersonen aus ihrem direkten Umfeld (häufig die eigenen Eltern) nachfragen. Der große Anteil junger Nutzer spricht somit eher gegen Snapchat als Plattform für Versicherungsmarketing.

Snapchat für Versicherungsmakler und -vermittler?

Im Gegensatz zu einer Versicherung, wo die Empfehlung zu eigenständigen Snapchat-Aktivitäten ganz klar „Nein“ lautet, gilt für Makler oder Vermittler das allseits beliebte „Kommt drauf an“. Wenn man Sie als extrovertiert und unterhaltsam kennt und wenn Sie dazu noch eine sehr junge Zielgruppe haben, dann spricht nichts dagegen, dass Sie hier aktiv werden. Denn im Gegensatz zu einer Versicherung geht es bei Vermittlern / Maklern fast ausschließlich über die persönliche Ebene. Aber das brauch ich Ihnen sicherlich nicht sagen.

Für eine professionelle Nutzung der App rate ich Ihnen folgendes:

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  1. Lesen Sie eine grundlegende Einleitung zu Snapchat, zum Beispiel das kostenlos herunterladbare E-Buch „Snap me if you can“ von Phillip Steuer. So lernen Sie sowohl die Bedienung als auch die Möglichkeiten der App richtig kennen und außerdem finden Sie darin einen Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Einrichtung eines Accountes.
  2. Integrieren Sie auf sämtlichen Social-Media-Kanälen ihren Snapchat-Code, damit Ihre Zielgruppe nicht nur weiß, dass Sie nun auch dort zu erreichen sind, sondern Sie auch findet. Denn ein bisher noch ungelöstes Problem ist es, Personen einfach auf Snapchat zu finden. Die Betonung liegt dabei auf „einfach“.
  3. Inhaltlich sollten Sie ihren Snapchat-Kanal an ihren Möglichkeiten ausrichten. Wenn Sie bspw. einen Verein sponsern, dann könnten Sie Snapchat dazu nutzen, um auf unterhaltsame Weise über die Spielergebnisse, Auswärtsfahrten, Training oder ähnliches zu berichten. So können Sie sich sehr gut lokal positionieren. Als Inspiration kann ich Ihnen nur Snapchat-Accounts der Bundesligisten ans Herz legen.
  4. Legen Sie für sich selbst Erfolgskennzahlen fest und werten Sie diese aus. Diese können zum Beispiel die Anzahl ihrer Views sein, aber auch die Interaktionen mit ihrer Zielgruppe innerhalb der App bis hin zu aktiv eingeforderten Reaktionen von Kunden auf ihr Snapchat-Engagement allgemein und im Speziellen. Messen Sie sich mit sich selbst und ziehen Sie daraus die richtigen Schlüsse für ihre Inhalte und den Kanal selbst.

Alles in allem ist Snapchat ein Kanal, dessen Entwicklung man die nächste Zeit genauer beobachten sollte. Sofern er erwachsener und professioneller in der Bereitstellung von Werbemöglichkeiten wird, zielgruppengenaue Werbeauslieferung bietet und es Möglichkeiten gibt aus der App heraus in Kundenprozesse zu führen, dann kann Snapchat zu einem relevanten Kommunikationskanal in der Versicherungsbranche werden. Bis dahin ist es eine nette Spielerei, mit welcher sich Vermittler in unterhaltsamer Weise präsentieren können. Allerdings sollen Sie dabei nicht vergessen, was auch für alle anderen Kanäle gilt: Jeder Beitrag, jedes Posting und jeder Snap kosten Zeit und Unterhaltung der Unterhaltung willen ist das Geschäft der Unterhaltungsindustrie. Ihnen bringt das Versicherungsgeschäft die Butter aufs Brot.

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