Ob es stimmt? 54.000 Euro mehr Steuern muss ein Standardrentner der Deutschen Rentenversicherung (DRV) mit 45 Beitragsjahren mehr an Vater Staat bezahlen, als die Steuerregeln es vor dem Alterseinkünftegesetz (AltEinkG) seit 2005 vorsahen. Diese hohe fünfstellige Zahl will der Mathematiker Werner Siepe kürzlich in eigenen Berechnungen zu dem Gesetz ermittelt haben. Der Versicherungsbote berichtete, auch zu den sich regelmäßig ändernden Rahmenbedingungen, die den Expertenstreit um die Gerechtigkeit der neuen Renten-Steuerwelt wiederholt anheizen.

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Kunden hatten keinen Schimmer

Das Fiese an der Steuer in der neuen Rentenwelt zu Jahresbeginn 2005 war, dass der Bürger überhaupt nicht erahnen konnte, ob oder was sich für ihn bei der Rente in fernen 30 oder 40 Jahren ändern wird. Um das Beste aus dem AltEinkG zu machen, hätte es bereits am 1. Januar 2005 eines weitsichtigen Finanzberaters bedurft, der seinen Kunden vorausschauend und unter Ausnutzung des damals neuen Gesetzes beraten hätte.

Wir gehen in das Jahr 2005. Unser Musterkunde heißt Jan Schimmer, Jahrgang 1973, damals 32 alt, ledig, kinderlos, Gutverdiener mit 5.200 Euro Bruttogehalt. Im Jahr 2005 waren 5.200 Euro die Beitragsbemessungsgrenze (BBG) in der gesetzlichen Rentenversicherung. Schimmer war in dem Jahr Höchstbeitragszahler und bleibt es bis zu seiner Rente im Jahr 2040. Was unser Musterkunde Ende Januar 2005, als die Gehaltsabrechnung kam, nicht bemerkte. Er hatte eine „Gehaltserhöhung“ bekommen. Nicht vom Chef, sondern von Vater Staat.

AltEinkG-Rente zum Nulltarif

Rund 46 Euro mehr Netto standen auf dem Gehaltszettel. Der Grund? Das AltEinkG. Im Januar 2005 wurden erstmals Teile von Jan Schimmers Rentenbeiträgen steuerfrei gestellt (2005: 60 Prozent). Man stelle sich vor, sein Finanzberater hätte Schimmer 2005 empfohlen, jeden Monat 46 Euro in eine private Rentenversicherung einzuzahlen. Und deswegen und weil Jan Schimmer einen guten Berater hatte und hat, hat er sich, gut beraten, 2005 eine Privatrente gekauft. Mit 46 Euro im Monat fing er an. Kostete ihn ja kein Geld. Und wie wir feststellen werden: Die passende Privatrente zum AltEinkG kostet den Sparer – richtig gerechnet – nie Geld.

In den vergangenen 12 Jahren ist Jan Schimmers Gehalt weiter gestiegen. Heute verdient er 6.200 Euro. Wie Fachleuten bekannt sein dürfte, sind 6.200 Euro das aktuelle BBG-Niveau der Deutschen Rentenversicherung (DRV). 2016 werden 82 Prozent von Schimmers Rentenbeiträgen steuerfrei gestellt. Seine „Gehaltserhöhung“ durch das AltEinkG ist inzwischen weitergewachsen. Auf heute 165 Euro netto. Bis zum Jahr 2024 wird Schimmers monatlicher Gewinn aus Steuervorteilen weiter ansteigen.

Aus 46 Euro Anfangseinsparung wurden 280 Euro – jeden Monat

Monatlich 280 Euro persönlicher Überschuss werden dann nach 20 Jahren AltEinkG-Förderung für Jan Schimmer erreicht sein, wenn man realistisch ein moderates Ansteigen der BBG auf 7.000 Euro im Jahr 2024 annimmt (die Steigerung auf 7.000 Euro ist realistisch. In den Jahren 2005 bis 2014 stieg die BBG von 5.200 auf 6.000 Euro, ein durchschnittliches jährliches Plus von 1,5 Prozent).

Nun machen wir den ersten Kassensturz für die Zeit von 2005 bis 2024. In diesen 20 Jahren stieg der Netto-Vorteil wegen AltEinkG bei Jan Schimmer von anfangs 46 Euro auf 280 pro Monat im Jahr 2024. Pro Jahr entspricht das einer Steigerung von knapp 9,5 Prozent pro Jahr. Jan Schimmers Finanzberater hätte ihm also im Jahr 2005 nur eine Privatrente mit 46 Euro Anfangsbeitrag anbieten müssen und eine Beitrags-Dynamik von 10 Prozent pro Jahr. Wie viel kommt da nach 20 Jahren als Zwischenstand heraus?

Erster Kassensturz nach 20 Jahren: 38.000 Euro

Rundgerechnet knapp 38.000 Euro, wenn man für Schimmers Einzahlungen 3,0 Prozent Beitragsrendite annimmt. Wer 3,0 Prozent nicht glaubt, macht diese Rechnung mit den dynamischen Beiträgen einfach mit 2,5 oder 2,0 Prozent Zinsvorgabe. Aber bei der zugrunde gelegten Privatrente haben die Lebensversicherer in den ersten zehn Vertragsjahren bis 2014 ja noch um die fünf bis vier Prozent (Tendenz fallend) Überschüsse, auch an Jan Schimmer, ausgezahlt. Und: Es galt und gilt für das Abschlussjahr 2005 ein Garantiezins von 2,75 Prozent.

Von 2025 bis zum Jahr 2039 rechnen wir mit Schimmers Gehalt 2024 und der bis dahin angenommenen BBG 7.000 Euro weiter (verzichten also auf weitere, wenn auch realistische BBG-Hochrechnungen). Kurzum: Jan Schimmer bespart seine Privatrente beim Lebensversicherer bis 2039 weiter. Jeden Monat unverändert mit 280 Euro aus AltEinkG-„Gewinn“. Mathematisch nehmen wir das erste Kapital-Ergebnis nach 20 Jahren (2024) in Höhe von 38.000 Euro (siehe oben) für die Zinseszins-Berechnung als Startkapital und fügen 15 Jahre lang jeden Monat 280 Euro hinzu, genauer: Jan Schimmer tut das.

110.000 Euro Zusatzkapital. Aufwand: Null.

Auf Rat seines Finanzberaters, der ihm das beim Jahresgespräch ausgerechnet und geraten hat. Ergebnis: Trotz schmaler zwei Prozent Verzinsung für die letzten 15 Jahre bis zur Rente hat Jan Schimmer nun knapp 110.000 Euro Kapital beim Rentenversicherer liegen. Kapitaleinsatz: Null. Jeder Euro für die Privatrente wurde aus AltEinkG-Vorteilen finanziert.

Rentensteuer-Berechnung 2040 (West):

  1. Gesetzliche Rente
    2005-2039, 35 Jahre lang, wird Jan Schimmer in Höhe der jeweiligen BBG verdient haben und Renten-Anwartschaften aufgebaut haben. Exakt 35 Jahre x 2,13 Entgeltpunkte x 29,21 (ein Entgeltpunkt West, Stand 2016) ergeben 2.177 Euro Rente. Hinzu kommen Schimmers Rentenpunkte aus den ersten Berufsjahren. Kaum oder gar kein Arbeitsnehmer startet sein Arbeitsleben mit einem Gehalt in Höhe der BBG. Unser Mann hat die ersten zehn seiner 45 Beitragsjahre exakt 10,0 Entgeltpunkte eingesammelt, nehmen wir an. Dies erhöht seine Rente um im Westen um 292,10 Euro auf gesamt 2.469 Euro brutto.
  2. Rente aus privater Rentenversicherung beim Lebensversicherer
    Beim Lebensversicherer liegen 2040, wenn die gesetzliche und die private Rente starten, rund 110.000 Euro. Dieser Betrag geteilt durch 10.000 und bei einem Rentenfaktor von angenommen 35 Euro je 10.000 Euro Kapital ergeben für Jan Schimmer eine private Zusatzrente von 385 Euro. Monatlich lebenslänglich. Und da die Lebensversicherer-Rente nach der Rürup-Systematik dritte Schicht (Kapitalanlageprodukt) und steuerlich eine Leibrente ist, werden die Rentenzahlungen an den 67-jährigen Jan Schimmer nur mit 16 Prozent ihres Jahresbetrags als Ertragsanteil steuerlich erfasst.
  3. Rente netto
    Mit 2.469 Euro DRV-Rente plus 385 Euro Privatrente kommt Jan Schimmer auf 2.854 Euro Einnahmen. Abzüglich Kranken-/Pflegeversicherung (246 Euro) und Steuern (444 Euro) hat der Rentner netto 2.164 Euro auf dem Konto (Sozialabgaben, Steuerrecht und Steuertabellen Stand 2016). Das sind mehr als Schimmers Kollege Max Fleißig 2040 auf dem Konto haben wird.

Zum Nulltarif: 360 Euro mehr Rente – oder nicht

Max Fleißig (ebenfalls ledig, kinderlos, verdient seit Jahrzehnten das gleiche Geld wie Jan Schimmer) kann nur mit 1.800 Euro netto aus seiner gesetzlichen Rente rechnen. Jan Schimmer hat jeden Monat 360 Euro mehr Rente, lebenslang, finanziert vom Finanzminister beziehungsweise vom AltEinkG. Rürup sei Dank. Fleißigs Finanzberater hat das mit Rürup und der Privatrente zum Nulltarif schlicht verpennt.

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Hinweis: Alle Angaben ohne Gewähr für eventuelle Rechenfehler. Zinseszinsberechnungen vom Autor. Gehalts- und Steuerberechnungen erfolgten mit neutralen Tools von www.n-heydorn.de. Steuer- und Sozialversicherungs-Berechnungen Stand 2016. Über die BBG 2016 hinausgehende Gehaltsberechnungen erfolgten mit Hilfe von Quotelungen.

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