Diese Änderung ist weitreichend und ein starker Einschnitt ins Verbraucherrecht, so Prof. Dr. Julius Reiter, Partner der Kanzlei baum reiter & collegen, welcher bei der Anhörung vor dem Ausschuss Recht und Verbraucherschutz des Bundestags als Experte geladen war. „Mit der zeitlichen Begrenzung falscher Widerrufsbelehrungen wird das stärkste Verbraucherrecht überhaupt beschnitten. Und das, obwohl hier keinerlei Rechtsunsicherheit herrscht".

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Erstaunlich sei, dass man sich für die Verhandlung eines so komplexen Sachverhalts nur drei Tage Zeit genommen hat. Kein Wunder also, dass es nicht ganz koscher wirkt. So findet Reiter, die Gesetzesänderung entspräche nicht dem geltendem europäischen Recht: Laut Richtlinie 2011/83/EU sollen Mitgliedsstaaten ihre aktuell geltenden Standards beibehalten.

Gesetzesänderung nicht EU-normkonform

Außerdem fordert die EU, dass der Vertragswiderspruch bei Finanzdienstleistungen keine Befristung vorsieht, identisch übrigens mit der Forderung des deutschen Gesetzgebers im BGB (§ 356 Abs. 3 S. 3). „Es ist unbegreiflich, wie die Große Koalition eine so hoch komplexe Angelegenheit innerhalb von drei Tagen durchpeitschen kann. Mir scheint, dass die Bankenlobby hier ordentlich interveniert hat", so Reiter.

Millionenfach war die Widerrufsbelehrung bei Immobilienkreditverträgen fehlerhaft ausgefallen. Nun müssen sich alle, die davon betroffen sind, beeilen, um sich die Chance auf nicht selten fünfstellige Beträge zu sichern. Wichtig ist, dass sie sofort handeln, rät die Stiftung Warentest. Der Aufwand sei gering, die Erfolgschancen sehr groß. „Etwa 80% der zwischen 2002 und 2011 abgeschlossenen Kreditverträge enthalten Fehler in der Widerrufsbelehrung, weshalb sie noch heute widerrufen werden können", weiß Reiter. Von falschen Belehrungen betroffen sind also überwiegend Verträge aus den Jahren 2002 bis 2011, während Dokumente ab 2011 kaum noch Fehler aufweisen.

Imobilienkreditverträge mit fehlerhafter Belehrung widerrufen

Der Gegenstand des Bundestagsentschlusses sind die Immobilienkreditverträge, die in den Jahren seit 2002 bis 2010/11 millionenfach mit fehlerhafter Widerrufsbelehrung abgeschlossen worden waren. Alle, die sich einen solchen Kredit zugelegt haben, können gegenüber den Verträgen bis heute von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch machen. Die Zinsen sind in dem Zeitraum seit 2002 bekanntlich extrem gefallen. Das heißt, wer etwas unternehmen will, um aus den hohen Zinssätzen herauszukommen, sollte spätestens jetzt den Kreditwiderruf in Angriff nehmen. Bei einem erfolgreichem Widerspruch mit anschließender Umschuldung auf das aktuell niedrige Zinsniveau könnten Verbraucher dann nämlich eine vier- bis fünfstellige Summe einsparen. Die Prüfung der eigenen Verträge lohnt sich deshalb.

Im Juni des laufenden Jahres soll es aber nach Beschluss des Bundestages mit dem Recht auf Widerruf in dieser speziellen Angelegenheit vorbei sein. Die Bankenlobby hat der Bundesregierung den Namen „Gesetz für Rechtssicherheit“ empfohlen für ihren Gesetzesentwurf, und diese hat den Namen angenommen und auch den Vorschlag, das so genannte „ewige Widerrufsrecht“ abzuschaffen. Dieses ewige Recht hatte man 2002 auch für Immobilienkredite als Gesetz installiert, um sicherzustellen, dass die Unternehmen deutliche, verständliche und korrekte Informationen an ihre Kunden vermitteln.

Anpassung der Kreditrichtlinie

Nun wird durch die Anpassung der Kreditrichtlinie das Widerrufsrecht bei fehlerhaften Widerrufsbelehrungen verkürzt auf ein Jahr und 14 Tage, wobei jene erneuerte zeitliche Begrenzung auch rückwirkend für Altverträge verbindlich wird. Im Anschluss an die Gesetzeseinführung, die vermutlich zum 21. März 2016 erfolgt, haben Kreditnehmer dann nur noch drei Monate, um zu widerrufen, bevor das ewige Widerrufsrecht für immer erlischt. Und wozu die Tilgung des Rechts?

Als Grundlage für die Änderung, wird die Notwendigkeit klarer Rechtsverhältnisse ins Spiel gebracht, auf dass Banken großzügiger Darlehen vergeben können. „Kreditinstituten steht es frei, jederzeit ordnungsgemäß nach zu belehren. Solange sich Banken an die vom Ministerium abgesegneten Musterformulierungen halten, kann ihnen sowieso nichts passieren", sagte dazu Reiter in der Pressemitteilung seiner Kanzlei.

Vorgehen beim Widerruf:

Bis jetzt hatten also alle fehlerhaft beratenen Kunden Zeit, ihre Verträge zu widerrufen. Wer das noch nicht getan hat, muss das nun bis zum Sommer geklärt haben und den Widerruf bei Bank oder Sparkasse bis zum Stichtag einreichen. Test empfiehlt, sich zu beeilen, um von den viele Tausend Euro wertvollen Widerrufsvorteil zu profitieren. Das ganze Prozedere sei weder zeit- noch kostenaufwändig. Als erstes solle man seine Vertragsunterlagen prüfen, das heißt, die Widerrufsbelehrung einer Verbraucherzentrale oder auch einen in Widerrufsfällen erfahrenen Rechtsanwalt vorlegen. Ferner helfe eine nach Banken und Vertragsdaten sortierte Liste von Verträgen mit falschen Widerrufsbelehrungen mit verbraucherfreundlichen Urteilen und Vergleichen sowie die Liste der Verbraucherzentrale Hamburg mit den Ergebnissen der Prüfung von fast 2.000 Kreditverträgen. Zweitens solle man die Restschuld ermitteln. Der Tilgungsplan gibt Auskunft, wie hoch die Restschuld noch ist. Alternativ findet sich die Info zur Restschuld mit dem Kredit- und Tilgungsrechner auf test.de, wo man sie selbst ausrechnen kann.

Drittens ist es gut, Angebote zu ermitteln. Ist die Restschuld so hoch, dass man einen neuen Kredit bräuchte, so der Widerruf erfolgreich verläuft, dann sollte man vorher unbedingt konkrete Angebote einholen. Und es ist wichtig, hier ehrlich anzugeben, dass man die Anschlussfinanzierung für einen Kreditwiderruf benötigt. Gesunkenes Einkommen oder Wertminderung der Immobilie beispielsweise durch einen Wasserschaden sind ebenfalls anzugeben.

Außerdem lässt sich ein Kreditvertrag auch dann widerrufen, wenn er bereits abbezahlt oder abgelöst ist. So muss die Bank oder Sparkasse die Vorfälligkeitsentschädigung erstatten, die eventuell gezahlt wurde. Auch muss herausgegeben werden, was mit dem Geld des Kunden erwirtschaftet wurde.

Widerruf bringt Geld zurück

Nachdem die Anschlussfinanzierung steht, kann man sich daran machen, den Kreditvertrag zu widerrufen. Dazu sind Musterbriefe nützlich. Um sicherzugehen, dass der Widerruf vor dem Stichtag eintrifft, sollte er per Einschreiben mit Rückschein versendet werden. Wenn nun die Bank reagiert und "mit ausführlicher und kompliziert formulierter Begründung", so test.de, schreibt: Die Widerrufsbelehrung sei korrekt gewesen und das Widerrufsrecht sei inzwischen verwirkt, sollte man sich vergegenwärtigen: der Verbraucher muss keinen Grund für den Widerruf nennen. Banken lehnen grundsätzlich den Widerruf durch Privatpersonen ab, aber das ewige Widerrufsrecht war bei Vertragsschluss Gesetz. Es besteht also kein Grund, wieso Kunden dieses gesetzliche Recht nicht in Anspruch nehmen dürften.

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Trotz allem muss man bisweilen anwaltliche Hilfe nutzen, um zur Durchsetzung des Widerrufsrechts zu gelangen. Manchmal muss man auch vor Gericht ziehen. Test.de schreibt, man habe bis mindestens Ende 2019 Zeit zu entscheiden, ob und was man unternehmen wolle, wenn der Widerruf bereits eingelegt wurde. Hinzu käme der positive Fakt, das sich die Rechtsprechung zunehmend in eine verbraucherfreundliche Richtung bewege. Erwartet wird, dass vom Bundesgerichtshof in den nächsten Monaten mehrere Urteile zum Kreditwiderruf verkündet werden.

test.de, Presse von Reiter und Kollegen

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