Ob und wie die deutschen Versicherer an ihre Kunden bezahlen, wenn sie krank bleiben, also berufsunfähig (BU) werden, das wollte der Lobbyverband der Assekuranz, der GDV-Verband, kürzlich klarstellen. Eher war das ein Darstellen. Mit Erfolg: Der „GDV rückt Bild der BU-Versicherer gerade“, titelte das Branchenportal „procontra Online“ prompt. Dieses darf man relativieren. Der GDV stellt tatsächlich eher nichts „gerade“, sondern meldete, nein platzierte schlicht Zahlen. Die möglichst frohe Botschaft des Verbands pro Versicherung und pro Umsatz, dazu gleich mehr, beruht entgegen eventuellen Hoffnungen des Lesers nicht auf eigenen Daten.

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12.000 Nicht-Leistungen

Vielmehr fußt die GDV-Meldung auf von den Mitgliedern des Assekuranz-Verbands abgefragten Zahlen. Statistisches Material der Versicherer, welches sodann zum Jahresauftakt der Assekuranz im Raum stehen und den Glauben der Verbraucher in ihren hoffentlich vorhandenen BU-Schutz stärken möge. Dem stellt sich das Ratinghaus Franke und Bornberg entgegen. Mit eigenen Zahlen. Solchen, die das Haus nach eigenen Angaben selbst erhoben und ausgewertet hat.

Immer, wenn die Lobby der Assekuranz, aber auch Verbraucherschützer, sich zur BU äußern, stellen mindestens zwei Kontrolleure ihre Optik scharf. Zum einen ist das Matthias Helberg, auf BU-Schutz spezialisierter Versicherungsmakler mit Standort Osnabrück, der in seinem Blog nachrechnete und 12.000 nicht gewährte BU-Leistungen der Versicherer zählte und der schreibt: „Die Branche täte gut daran, transparent darzulegen, warum man in 12.000 Fällen existenzielle Versicherungsleistungen nicht gewähren konnte“. Dies sind nach GDV-Angaben 23 Prozent der angemeldeten BU-Fälle. In 77 Prozent der Fälle wird gezahlt, so die GDV-Angaben.

GDV-Daten nicht überprüfbar

Der zweite Kontrolleur, der dem GDV auf die Finger schaut, nachrechnet und selbst Daten erhebt, ist Franke Bornberg. Das Ratinghaus war vor mehr als 20 Jahren Begründer des BU-Ratings. Die Hannoveraner Experten werden in einer aktuellen Presse-Information konkret: „Wir wissen, dass viele Kunden ihren Anspruch nicht weiter verfolgen und den Fragebogen (des Versicherers, Anm. der Red.) nicht ausgefüllt zurücksenden.“ Der GDV weise nicht aus, wie er mit diesen Fällen umgeht, heißt es weiter. „Berücksichtigt die Quote alle Leistungsanträge, oder nur jene, bei denen alle für die Entscheidung erforderlichen Angaben vorlagen?“, fragt Franke und Bornberg.

Sagte der GDV noch kürzlich, seine Mitgliedsunternehmen zahlten in 77 Prozent der BU-Leistungsanträge auch Geld an die versicherten Kunden, so kommt Franke und Bornberg nur auf 65 von 100 Fällen, in denen kranke Kunden Geld sehen. Die Differenz von 12 Prozentpunkten erklärt Franke und Bornberg mit „zurückgezogenen Anträgen oder verletzter Mitwirkung“, also untätigen Kunden. Wie die Versicherer mit diesen Personen statistisch umgeht, weise der Versicherer-Verband nicht aus. Diese Vorgänge, die nicht zur Entscheidung kommen, werden laut Franke und Bornberg in den Statistiken der Versicherer unterschiedlich geführt.

Nur wenn man die inaktiv gewordenen vormaligen Anspruchsteller unter den Kunden einrechnet, kommt Franke und Bornberg auf eine ähnliche Leistungsquote von 75 Prozent.

„Verschleppungspraktiken“

Nach GDV-Angaben dauert es bei den Versicherern 13 Tage, bis die Versicherten einen Bescheid bekommen zur Frage „BU-Leistung ja oder nein“. Bedingung: Es müssen vorher alle für die Entscheidung bedeutsamen Unterlagen auf dem Tisch der Versicherung liegen. 13 klingt positiv, sagt Franke und Bornberg, „ist für Kunden aber nicht relevant, da keine Rückschlüsse auf die gesamte Regulierungsdauer möglich sind. Gerade Verschleppungspraktiken, also das bewusste Hinauszögern der Leistungsentscheidung, finden durch Anforderungen immer weiterer Unterlagen statt.“ Bis zu diesem Punkt eines Leistungs- oder Nicht-Leistungsfalls können Monate oder Jahre vergehen.

Versicherungsmakler Helberg zählt bei den BU-Fällen in seinem Bestand sechs Wochen bis zu einem Jahr Regulierungsdauer, schreibt er in seinem Blog. Franke und Bornberg kommt nach eigenen Erhebungen im Durchschnitt auf 196 Tage bis zur Entscheidung, 179 Tage für positive, 201 Tage für Ablehnungen und betont: „Dabei handelt es sich im Übrigen nicht um Werte, die durch bewusste Verzögerung der Entscheidung entstehen.“ Mit anderen Worten, es gibt Fälle, in denen die Versicherten auf das Leistungsurteil ihres Versicherers noch länger warten. Müssen.

Nein-Sager-Vorwurf nicht entkräftet

Weiter verlängerte sich die BU-Regulierung wegen zunehmender psychischer Krankheiten, schwieriger medizinische Beurteilung und „gleichzeitiger Knappheit von Ressourcen bei medizinischen Spezialisten“. Die tatsächliche Regulierungsdauer solle vom GDV nicht verschwiegen werden. „Die Zahl von 13 Tagen kann nur zu falschen Schlussfolgerungen und in der Folge zu enttäuschten Erwartungen und Verärgerung führen“, sagt Franke und Bornberg in seiner Presseinformation.

“Ob medizinische Gründe, Anfechtung oder Rücktritt, nicht erfüllte Prognosezeiträume oder Ausschlüsse aufgrund von Klauseln zu BU-Ablehnungen führen, sagt der GDV nicht. Hat der Verband damit seine Chance zur Transparenz gegenüber den Kunden vertan? Aus Sicht von Franke und Bornberg eher ja.“ Auch Zahlenspiele um externe Gutachten für Leistungsentscheidungen halten die Hannoveraner Experten für irrelevant: „Eine Aussage über Qualität und Zeitverhalten bei der Leistungsregulierung ist damit aus Sicht von Franke und Bornberg nicht verbunden.“

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Warum wird dieser Statistik-Diskurs um BU-Zahlungen der Versicherer eigentlich geführt? Weil bereits im Jahr 2012 der Norddeutsche Rundfunk die Kampagne „Die Neinsager“ startete und die Versicherer aufs Korn nahm. Auch wegen ihres Verhaltens bei BU-Zahlungen sehen sich die Unternehmen dem Vorwurf systematischer Leistungsverweigerung gegenüber.

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