And the Oscar goes to: Allianz! Zumindest stellvertretend für Assekuranz-Großkonzerne. Versicherungs-Professor Hermann Weinmann, intimer Kenner der Branche und ihrer Bilanzen, sprach im November Klartext. In einer Stellungnahme beim Deutschen Bundestag zum geplanten Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) sagte der Ordentliche Professor der Hochschule Ludwigshafen: „Nehmen die Bundesregierung und die Aufsichtsbehörde keine Rücksicht auf den Mittelstand der Versicherer, besteht eine hohe subjektive Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich der Marktanteil der Allianz Lebensversicherung in Deutschland aufgrund der geschilderten Eigenkapital-Überlegenheit, der Kapitalanlagepolitik und aufgrund von Geschäftsaufgaben und Run-offs der Mitbewerber steil in die Höhe schraubt.“

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Kleinere Versicherer könnten wegen des Eigenkapitals zu schwach sein für Solvency II

Das Lesen der Weinmann'schen Aussagen lohnt Wort für Wort, wie im Folgenden festzustellen ist: Am ersten Januar 2016 soll das neue VAG kommen. Praktisch gesehen handelt es sich dabei um die deutsche Gesetzesversion der von der EU bereits beschlossenen Solvency II-Eigenkapitalrichtlinie für die Assekuranz. Das OK des Bundesrats liegt seit einem Monat vor. Mit der Novelle des VAG müssen sich mehr als 500 deutsche Versicherer auf ein neues Regime ihrer Geschäfte vorbereiten.

Zwar haben die Unternehmen, je nach einzelnen Umstellungs-Epochen, gut 15 Jahre Zeit, ihr Geschäft umzubauen. Aber kleine und mittlere Versicherer könnten angesichts der neuen Auflagen, vor allem zum vorzuhaltenden Eigenkapital, zu klein sein – oder zu schwach.

Der Zins entscheidet über den Kapitalbedarf der Unternehmen

Ein Problem sind zum Beispiel die typischerweise lang laufenden Garantien der Lebensversicherer. Nach Solvency II-Regeln, beziehungsweise den kommenden VAG-Vorschriften, müssen die Unternehmen sich künftig an einer so genannten Zinsstrukturkurve orientieren. Sinkt künftig das Zinsniveau, dann steigt der Eigenkapitalbedarf der Lebensversicherer. Immer orientiert, genauer gemessen an der Struktur des Portfolios eines jeden Unternehmens.

Umgekehrt würden in der Zukunft steigende Zinsniveaus (über alle Anlagekassen betrachtet) den Kapitalbedarf der Unternehmen senken. Mit letzterem ist nicht zu rechnen. Die Zinskurve zeigt weiter nach unten in Richtung null.

Drei Säulen von Solvency II - Quelle: GDVKeine Ende der Fahnenstange - die Zinsen sinken weiter

Zum Zinstrend hat Thomas Hagemann, Chefaktuar des Beratungsunternehmens Mercer, in diesen Tagen über einen wichtigen Bilanz-Indikator berichtet, der alle Unternehmen und damit auch Lebensversicherer betrifft - wenn auch nicht direkt auf deren Portfolios zu beziehen ist. Aber auf Rückstellungen für Pensionszusagen, die nichts anderes sind als Betriebsrenten, also „Lebensversicherungsgeschäft“ innerhalb von Großunternehmen wie Daimler oder BASF:

Nach der „Mercer Yield Curve“, so heißt der als Indikator dienende Wert, ist der Zins von Anlagen mit Laufzeiten (Duration) von 15 Jahren seit Ende 2014 von 2,00 auf jetzt 1,43 Prozent gefallen.

Mehr Regulierung – aber weniger Orientierung für Assekuranz

Hagemanns Kommentar dazu auf seiner Facebookseite: „Der Zins ist in drei Monaten um mehr als einen halben Prozentpunkt gesunken! Und dabei dachten wir doch, das Ende der Fahnenstange wäre langsam erreicht“. Wer nun denken würde, das kommende VAG als Gesetz, dessen ergänzende (zu erwartende) Durchführungsverordnung oder gar die Aufsichtsbehörde BaFin werde den Assekuranzen eine Orientierung geben, der würde sich täuschen. Es gibt keine „Anweisung von oben“ mehr, die schwarz auf weiß vorschreibt, mit welchem Zins der Versicherer künftig seinen (Eigen-)Kapital rechnen muss.

Die Aufsicht hebt oder senkt den Daumen

Vielmehr müssen die Unternehmen den durchaus dehnbaren Grundsatz des ordentlichen Kaufmanns anwenden, ihre Zinsrisiken je Anlageklasse berechnen, verdichten (aggregieren) und das Ganze zu „Marktpreisen“ bewertet bei der BaFin abliefern. Die Aufsicht prüft dann anschließend die Berechnung und hebt oder senkt den Daumen zu der Frage, ob der Versicherer ausreichend finanziert ist. Vorgegeben ist nur eine Art Rechenraster für alle.

Großkonzerne wie Allianz, Axa oder Munich Re (inklusive Ergo als Erstversicherer) arbeiten an eigenen Rechenmodellen. Warum? Weil sie es können; fachlich, personell und finanziell.

Mangelnde Finanzkraft – zu „kleiner“ Versicherer – Garaus?

Kleinere oder mittlere Versicherer - deren exakte Größen-Definition im Sinne Solvency II wird erst die Zukunft zeigen - könnten in die Röhre schauen. Neben den Finanzmitteln für eigene Rechenmodelle könnte diesen Unternehmen schlicht die mangelnde Finanzkraft den Garaus machen. Soweit zur Bewertung der Anlage-Portfolios der Versicherer. Beim Eigenkapital für die einzelnen Anlageklassen müssen die Versicherer konkrete Auflagen einhalten. Hierfür gibt es die „Solvency Capital Requirements“ (SCR), eine Art Katalog der Eigenkapital-Erfordernisse und deren Umsetzung.

Für Immobilien sind fast 50 Prozent Eigenkapital nötig

Zum Beispiel Aktienanlagen egal welcher Güte, obwohl die Versicherer überwiegend Standardwerte halten (und kaum exotische „Hopp-oder-Topp-Anlagen“!), müssen die Versicherer mit knapp 40 Cent für jeden investierten Euro mit Eigenkapital unterlegen.

Immobilien, eigentlich in Stein gemeißelte, bleibende Werte und für den Bürger eine vor allem inflationssichere „Rente aus Stein und Beton“ ordnet die SCR-Liste den (Achtung!) „alternativen“ Anlagen zu! Für diese festen Werte müssen die Versicherer ein paar Ziegelsteinchen weniger als 50 Prozent Eigenkapital reservieren, vulgo: finanzieren.

Sichere griechische Staatsanleihen(?)

Als risikolos im Sinne der Bedingungen, kein Scherz, gelten alle Staatsanleihen des Euro-Raums; „Grexit“, also einen Austritt Griechenlands aus dem Euro und/oder eine nicht ganz unwahrscheinliche Pleite der Helenen hin oder her. Auch griechische Anlagen sind „sicher“ im Sinne des Eigenkapital-Regimes der EU und Folgen: VAG. Ohne in den Verdacht einer Kommentierung zu kommen, kann man die unterschiedslose Einstufung aller Euro-Anleihen als politische Reglung verstehen.

Eurobonds durch die Hintertür

Zur Erinnerung: Die meisten Staaten und Politiker, egal ob in der Regierung oder Opposition, haben sich in der jüngeren Vergangenheit gegen Eurobonds (Staatsanleihen aus dem Querschnitt aller Euroländer inklusive Griechenland, Italien, Spanien oder Portugal) ausgesprochen. Also gibt es keine Eurobonds. Stattdessen kauft die Europäische Zentralbank (EZB) jetzt Staatsanleihen aller Staaten auf: „Eurobonds durch die Hintertür“, nannte dies kürzlich ein Vorstand der Bundesbank, der eben wegen dieser Aussage nicht zitiert werden will.

Die drei Säulen von Solvency II

Neben der wirtschaftlichen Seite (Eigenkapital) als erste Säule der fortentwickelten Regulierung müssen die Versicherer auch (Säule 2) ihre Unternehmensführung und interne Kontrollen regulieren, renovieren. Als dritte Säule verlangt Solvency II, im kommenden VAG umgesetzt, mehr Transparenz. Oder neudeutsch: Compliance – gute Unternehmensführung. Zum Beispiel durch eine „harmonisierte“, also über Konzerngrenzen hinweg vergleichbare Berichterstattung. Letzteres ist nichts Neues.

Im Grunde verfolgen Solvency II oder das resultierende neue VAG den Grundprinzipien der EU seit den Römischen Verträgen aus den Fünzigerjahren des alten Jahrhunderts: Nationale Vorschriften sollen international, beziehungsweise auf EU-Ebene, angepasst (Konvergenz), und durchsichtig machen (Transparenz). Wirtschaftlich wichtig wird und bleibt Säule 1.

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Je größer, desto Allianz

Kurz gesagt steht zur Frage, welcher Versicherer Solvency II oder das VAG und Folgen buchstäblich überlebt. Das Fazit dazu: Je größer, desto besser. Oder einfacher zu merken: Allianz, Axa, Generali, Munich Re. Diese Liste lässt sich NICHT beliebig fortsetzen. Wo sie endet, wissen wir in zirka fünf bis zehn Jahren.

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