Weitere Stellen wurden für ihn beim zuständigen Sozialgericht in Cottbus geschaffen. Dort ist er für die Hälfte der 12.000 Klagen verantwortlich. Fünf neue Richter mussten eingestellt werden. Trotzdem sind immer noch nicht alle von Langes Klagen abgearbeitet, denn jeder Einzelfall muss umfassen geprüft werden. In Anzeigen im kostenlosen Wochenkurier suggeriert Lange, dass nahezu jeder Hartz IV-Bescheid falsch sei und rät diese dringend von einem Rechtsanwalt prüfen zu lassen.

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10 bis 20 Prozent der Hartz IV Anwälte wollen Gebühren schinden

Der promovierte Jurist Joachim Wagner hat für sein Buch "Vorsicht Rechtsanwalt - Ein Berufsstand zwischen Mammon und Moral" umfassend zu dem Thema recherchiert. Er schätzt, dass es bei zehn bis 20 Prozent der Hartz IV Anwälten nicht darum gehe, „den Rechtsstaat zu verwirklichen, sondern darum, Gebühren zu schinden“, wie er Plusminus sagte. Oftmals werde der Einzelfall gar nicht geprüft, sondern lediglich ein "lege für den Mandanten gegen den Bescheid Widerspruch ein" an das Jobcenter geschickt. Das kann jeder Hartz IV Bezieher auch selbst formlos tun.

Wird ein Anwalt eingeschaltet, kann Beratungshilfe beantragt werden und der Staat zahlt den Juristen. Pro Fall zwischen 35 und 309 Euro – unabhängig davon, ob der Widerspruch erfolgreich ist oder nicht. Die Masse macht’s. Ein lukratives Geschäft, an dem in der Regel nur der Rechtsanwalt verdient. Muss ein Bescheid tatsächlich korrigiert werden, bekommt er weitere 150 Euro, deshalb lohnt es sich, auch um Centbeträge zu streiten. Schafft das Jobcenter es bei der Klageflut nicht, die Frist einzuhalten, reichen die Anwälte Untätigkeitsklage ein und kassieren dafür Gebühren zwischen 50 und 550 Euro.

Jobcenter Gifthorn: 97 Prozent aller Widersprüche von einem Anwalt

Die gleiche Situation herrscht vor Gericht. Klagen an Sozialgerichten sind auch dann kostenlos, wenn der Prozess verloren wird. Außerdem können Bedürftige Prozesskostenhilfe beantragen und die Anwaltskosten werden vom Staat übernommen – auch bei erfolgloser Klage. So ist Anwalt Thomas Lange kein Einzelfall.

Wilfried Reihl vom Jobcenter im niedersächsischen Gifhorn bekam 630 Widersprüche an einem Morgen von einem einzigen Anwalt: Günter Wellnitz. Mit tausenden Widersprüchen bombardiert er die Behörde seitdem Jahr für Jahr, im Januar waren es alleine 1048. „Mathematisch festgehalten sind das 97, 14 Prozent“ aller Widersprüche, erzählt Reihl Plusminus. Seine Behörde musste Wellnitz in einem Jahr 72.000 Euro Anwaltshonorar zahlen. Hinzu kamen für das Jobcenter 600.000 Euro Kosten für einen eigenen Anwalt, um Wellnitz Klageflut abzuwehren. Einen Teil des Geldes musste das Jobcenter aus dem Topf für Arbeitsvermittlung nehmen.

Rechtsanwaltindustrie durch Agenda 2010

In seinem Buch nennt Joachim Wagner weitere Beispiele von skrupellosen Anwälten. Einige haben ihre Kanzleien inzwischen zu florierenden Unternehmen mit mehreren Angestellten gemacht. Besonders pikant ist der Fall von Anwalt Scot Möbius. Er war früher selbst Mitarbeiter des Jobcenters und hat sich nun auf Klagen gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber spezialisiert. Dabei streitet er auch um Rundungsbeträge. Mit einem Mandanten verdiente er 11.153,47 Euro, für den Hartz IV Empfänger selbst war die Klage weniger lukrativ, er bekam einmalig 262,69 Euro.

Joachim Wagner sieht die Fehler auch im System, die Agenda 2010 habe 2005 ein neues Geschäftsfeld für Juristen geboren. Jens Regg, früherer Geschäftsführer der Arbeitsagentur Berlin-Brandenburg spricht von einer „Rechtsanwaltindustrie“, die um die Behörden entstanden sei. Wagner sieht die Hartz-Gesetze der Regierung Schröder mit der heißen Nadel gestrickt, nur so konnte die Vertretung von Sozialhilfeempfängern zu einem einträglichen Geschäftsmodell für Anwälte werden.

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Die Gesetze bergen zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe, offene Fragen und komplizierte Berechnungsmethoden, mit denen die Jobcenter überfordert sind. Außerdem ist das Gesetz in den letzten zehn Jahren mehr als 60-mal modifiziert worden. "Jeder fünften Klage wird stattgegeben", sagt Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, "weil sich vom Zeitpunkt des Bescheides bis zum Gerichtsverfahren die Gesetzeslage geändert hat."Wenn ein Anwalt für eine ALG-II-Klage ohne Begründung bis zu mehreren Hunter Euro verdienen kann, stimme etwas nicht im Rechtsstaat, so Wagner.

Plusminus, Spiegel

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