Einer der wichtigsten Faktoren im Kampf gegen psychische Krankheiten ist die Zeit: Je früher mit einer Behandlung begonnen wird, desto besser. Um Menschen mit psychischen Problemen in einen Job zu vermitteln oder im Beruf zu halten, ist es wichtig, dass Krankenkassen und Arbeitsämter früher als bisher reagieren, relevante Akteure wie Lehrer, Ärzte oder Arbeitgeber einbeziehen und insgesamt stärker Hand in Hand arbeiten. Zu diesem Schluss kommt der aktuelle OECD-Bericht “Fit Mind, Fit Job: From Evidence to Practice in Mental Health and Work”. Auf Basis von neun Länderanalysen erläutert er, welche politischen Weichen gestellt werden müssen, damit die Kosten psychischer Krankheiten für Individuen, Arbeitgeber und die Gesellschaft möglichst gering gehalten werden.

Menschen mit Depressionen verlieren doppelt so häufig den Job

Im öffentlichen Diskurs werden psychische Probleme mehr behandelt als noch vor einigen Jahren, dennoch kämpfen Betroffene mit einem erheblichen Stigma. Die privaten Folgen psychischer Erkrankungen sind aber nicht nur wegen sozialer Ausgrenzung gravierend: Menschen mit leichten bis mittelstarken Störungen – etwa Angstzuständen oder Depressionen - verlieren doppelt so häufig ihren Job wie Gesunde.

Bis zu 50 Prozent aller neuen Anträge auf Arbeitsunfähigkeit gehen inzwischen auf psychische Probleme zurück. Das belastet nicht nur die Patienten, deren Armutsrisiko dadurch steigt, es ist auch ein Problem für die Wirtschaft. Schätzungen zufolge kosten psychische Erkrankungen Europa jährlich etwa 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Auch der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) weist auf die Zunahme der Ausfälle wegen psychischer Erkrankungen hin. Der letzte Stressreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) von 2012, der auf der Befragung von rund 20.000 Erwerbstätigen basiert, zeigte: Mehr als die Hälfte der Beschäftigten klage über starken Termin- und Leistungsdruck sowie darüber, mehrere Arbeiten gleichzeitig erledigen zu müssen. Auch Arbeitsunterbrechungen und schnelles Arbeiten zählen zu den am häufigsten genannten Stressfaktoren. Die Folge sind zunehmende Ausfälle der Beschäftigten: 1993 noch rund 41.400 Menschen eine gesetzliche Erwerbsminderungsrente wegen psychischer Störungen zugesprochen, 2012 waren es knapp 75.000. Damit stieg der Anteil dieser Gruppe an allen neu erteilten Erwerbsminderungsrenten von 15,4 auf 42,7 Prozent. In der privaten Berufsunfähigkeite entfielen 2012 rund 31 Prozent der Leistungsfälle auf psychische Erkrankungen.

Psychische Störungen - Kampf gegen die Zeit

In den untersuchten Ländern können zwischen den ersten Anzeichen für mentale Störungen und Therapiebeginn zehn Jahre vergehen. Das ist beunruhigend, denn es trifft nach Aussage des Berichts vor allem junge Leute, so die OECD-Studienautoren. Jede Maßnahme, die Schule oder Arbeitgeber einleiten, sei erfolgversprechender als zu warten, bis die Betroffenen die Schule abbrechen oder aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden. Zwar kann Stress in Beruf und Ausbildung psychische Probleme verstärken. Bleiben die Patienten jedoch in Arbeit oder Schule, so kann das mit der nötigen Unterstützung auch einen positiven Einfluss auf den Verlauf der Krankheit haben.

Kooperation zwischen Versicherung und Institutionen für Gesundheit und Beschäftigung könnte Lage verbessern

Ein weiterer Faktor, der die Effizienz der Maßnahmen bei psychischen Problemen beeinflusst, ist die häufig nur ungenügende Abstimmung zwischen den Bedürfnissen der Erkrankten und der Hilfe, die sie erhalten. Noch immer werden politische Maßnahmen zu häufig in abgeschlossenen Einheiten definiert und umgesetzt, wahlweise von Gesundheits-, Beschäftigungs- oder Bildungsdiensten, kritisieren die Experten. Würde stattdessen ein verzahntes System geschaffen, könnten mit den gleichen Ressourcen schnellere und bessere Erfolge erzielt werden. Einige Länder haben zaghafte Schritte in diese Richtung unternommen, viele würden es abe bisher versäumen, die Wirkung ihrer Reformen zu dokumentieren und zu analysieren.

Einen erfolgversprechenden Ansatz sehen die Studienautoren etwa im Schweizer Modell der „Interinstitutionellen Zusammenarbeit“ (IIZ). Diese Kooperation zwischen verschiedenen Institutionen der Felder Beschäftigung, Versicherung und Gesundheit soll dazu dienen, komplexe Fälle schneller mit den für sie zuständigen Stellen in Kontakt zu bringen. Das Modell-Projekt kranke aber noch an der Umsetzung: Häufig dauert es zu lange, bis Betroffene an ein IIZ-Team verwiesen werden, und insgesamt sind die Fallzahlen zu klein, um spürbare Arbeitsmarkteffekte oder Kostenersparnisse hervorzurufen. Zur Umsetzung schnellerer und effektiver Hilfe

OECD, GDV