Anthonj diskutierte diese Überlegung in seiner WG und im Resultat führt Anthonj heute ein Unternehmen mit dem Namen Flexperto. Nicht schwierig zu erraten, aus welchen Begriffen sich der Firmenname zusammen setzt und welche Ansprüche Anthonj damit an sich und sein Unternehmen stellt: flexibler Kontakt zu Experten. Die Benutzer der Plattform sollen online eine Versicherung abschließen, einen ärztlichen Rat erhalten oder gar Nachhilfestunden nehmen können, ohne jemals wieder nach draußen zu müssen. Der Traum eines jeden Soziopathen.

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Flexperto: Datenschutz und Riskokapital

Flexperto wird durch Risikokapital, welches unter anderem von der Deutschen Telekom gestellt wird, gestützt. Möchte der Kunde nun also eine Versicherung abschließen - das Haus verlässt er ja nicht mehr und Zuhause passieren bekanntlich die meisten Unfälle - geht er auf die Webseite der Versicherung, dort ist einsehbar, wann der nächste Termin bei einem Berater frei wird. Parallel dazu kann sich der Kunde online alle Tarife ansehen und dann einen Video Chat starten. Und wenn dann alle seine Fragen beantwortet sind, wird er online seinen neuen Vertrag abschließen. Ein bisschen Datenschutz soll trotzdem sein und so muss der Kunde vor Vertragsabschluss einen Personalausweis in die Videokamera zeigen. Wenn mit dem Ausweis alles stimmt, muss das neu erworbene Versicherungsprodukt nur noch bezahlt werden. Dazu kann der Kunde sogleich die von Flexperto gestellte Überweisungstechnologie auf der Internetseite der Versicherung benutzen und den Vorgang abschließen. Ab sofort ist es Zuhause noch sicherer.

Kundenwünsche im digitalen Zeitalter

Dieses Szenario des Online-Kundenkontaktes wird bei vielen Banken, Versicherungen und verwandten Dienstleistern derzeit angesichts sich wandelnder Kundenwünsche im digitalen Zeitalter in Erwägung gezogen. Derzeit ist noch viel Luft nach oben. So sagt es auch Stefan Groß-Selbeck von der Boston Consulting Group, der den Ist-Zustand wie folgt zusammenfasst: "Die Banken schöpfen die technologischen Möglichkeiten bei weitem noch nicht aus." Denn es sei doch so, die Kunden möchten sich immer und überall informieren können. Frau Lynn Thorenz von dem Marktforschungsunternehmen IDC gibt deshalb den weisen Rat: „Die Menschen sind längst nicht mehr an einen Ort gebunden, um Erledigungen zu machen - und deshalb müssen sich alle Dienstleiter überlegen, wie sie die Kunden an sich binden.“ Während die Einen also noch überlegen, haben die Anderen schon entschieden. So werde in den nächsten zwei Jahren jede fünfte Bank weltweit das Verfahren der Videoberatung ausprobieren, so jedenfalls mutmaßt die IDC.

Beratungsgespräch im Videochat

Einen solchen Probelauf hat eine Sparkasse am Niederrhein bereits vor vier Jahren begonnen. Damit war sie die erste Sparkasse Deutschlandweit, die diesen Schritt gewagt hat und offenbar bis heute nicht bereut. Denn nach wie vor stellt diese Bank ihren Kunden die Option frei, Experten per Videochat zum Beratungsgespräch hinzuziehen - allerdings IN der Filiale, als Ergänzung zu den Beratern vor Ort. Die Kunden hätten positiv darauf reagiert, so der Vorstandsvorsitzende dieser Bank Giovanni Malaponti. Er gesteht „Wir waren selbst überrascht, dass wirklich alle Kunden den zugeschalteten Gesprächsteilnehmer als glaubwürdig wahrnahmen, offen mit ihm sprachen und im Anschluss daran die Atmosphäre als angenehm beschrieben haben.“

Progressive Bank

Aufgrund dieses positiven Verlaufs der Probe hat man sich in der progressiven Bank am Niederrhein bald entschlossen, das Angebot zu erweitern, indem man auch Skype-Konferenzen und Beratungsgespräche für Kunden, die ihre Frage gern von Zuhause aus klären wollen, anbot. Die meisten Fragen könnten auf diese Weise beantwortet werden und nur in wenigen Fällen muss der Skype-Berater den Kunden an die zuständige Geschäftsstelle verweisen, so Malaponti. Dass die Kontoeröffnung in dieser Bank ebenfalls per Videochat möglich ist, versteht sich von selbst.

Sensible Daten

Das Ausschöpfen der neuesten technologischen Möglichkeiten scheint für viele Banken der einzige Weg, Kunden im digitalen Zeitalter weiterhin an sich zu binden. Zudem sind die Kosten für Video-Chats vermutlich wesentlich geringer, als jene, die ein Unternehmen aufbringen muss, um einen großen Stamm von Angestellten in einer repräsentativen Filiale zu halten. Doch sind die beschriebenen Verfahren im Umgang mit höchst sensiblen Daten eigentlich sicher genug? Die Frage scheint im Kampf um den ersten Platz der Kundenbeliebtheit zweitrangig.

Paypal, Google, Apple und der Umgang mit Geld

Denn die Silkon Valley Konzerne Apple, Google und Paypal haben den Umgang ihrer Nutzer mit Geld im Netz revolutioniert und das Vertrauen ihrer Kunden in jene Online-Technologien ist stabil, ja, es wächst. Eine weitere Branche, in die derzeit soviel Kapital fließt, wie in jene Start-Ups, die die Finanzbranche bei ihren ersten Schritten in der digitalen Welt unterstützen, muss man mit der Lupe suchen. Doch wer wird langfristig die Gunst der Kunden gewinnen? Die Banken, die Technologiekonzerne oder ganz neue, noch unbekannte Player, die am laufenden Band Ideen produzieren, welche das Leben oder wenigstens den Umgang mit Geld noch einfacher machen könnten? Vielleicht sind am Ende dieser Entwicklung auch Allianzen denkbar.

Kunden gewinnen trotz Kunden Bedenken

Anthonj jedenfalls hat über das Thema Sicherheit auch schon nachgedacht. Mit Servern, die in Deutschland stehen sowie über eine komplett verschlüsselte Kommunikation will Anthonj die Bedenken der Benutzer minimieren. Doch warum einige Sparkassen für den Kundenkontakt ausgerechnet eine Technologie wie Skype nutzen, ist ihm im Hinblick auf die Sicherheit von Daten ganz und gar unverständlich. Denn bekanntermaßen sind alle US-Firmen dazu verpflichtet, im Zweifelsfalle alle noch so sensiblen Kundendaten an die US-Behörden weiterzureichen. Und welcher Gestalt solche Zweifelsfälle sein können, kann sich jeder selbst ausrechnen.

Persönlich, wenn es ernst wird

Trotz dem man sich branchenübergreifend der Zukunft zugewandt zeigt, ist eines in Deutschland doch signifikant: bei allen als wichtig und kompliziert wahrgenommen Angelegenheiten sucht der Kunde nach wie vor das persönliche Gespräch. Wenn es drauf ankommt, will man Face to Face reden. Die Skepsis gegenüber neuen Technologien als auch die „diffuse Sorge“ um die eigenen Daten hält Lynn Thorenz darum für das größte Hindernis bei der Durchsetzung der Kundenberatung per Videochat.

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Wehwehchen werden überbewertet

Flexperto hingegen hält es für ausgemacht, dass sich in fünf Jahren niemand mehr einen halben Tag freinehmen werde, wegen eines Wehwehchens. Vielleicht hat Anthonj vergessen, dass einem so ein Wehwehchen bisweilen ganz gelegen kommt, gerade weil man mal einen halben Tag durchatmen will. Nach den Banken, Versicherungen und Sprachlehrern sind Gesundheitseinrichtungen jedenfalls die nächsten Institutionen, bei denen Anthonj Sympathien für die Software seines Start-Ups gewinnen will. Dann kann man sein Herz ans Smartphone halten und bekommt dann hoffentlich gesagt, dass das alles okay so ist.

süddeutsche zeitung

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