Versicherungsbote: Herr Däsler, mehrere Versicherer – Allianz, ERGO, Axa sowie AachenMünchener – wollen künftig Lebensversicherungen ganz ohne Garantiezins anbieten. Was halten Sie davon?

Anzeige

Sascha Däsler: Das ist eine logische Reaktion auf die aktuelle Zinsentwicklung. Mit dem Absenken des Garantiezinses von 1,75 auf nur noch 1,25 Prozent werden Lebensversicherungen heutzutage kaum noch als attraktive Sparmodelle wahrgenommen. Ohne Garantiezinsen sind die Anbieter jedoch deutlich flexibler bei der Geldanlage und können sich von aktuell besonders schwach verzinsten Wertpapieren wie beispielsweise Staatsanleihen lösen. Allerdings verändert sich damit auch der Charakter einer Lebensversicherung.

Inwiefern verändert sich dieser Charakter?

Däsler: Risikoarme, niedrigverzinste Papiere bilden heutzutage die Grundlage für Versicherer, um den ohnehin recht mageren Garantiezins zu erwirtschaften. Im Fokus steht dabei die Absicherung biometrischer Risiken durch eine Lebensversicherung als klassisches Vorsorgeprodukt. Mit dem neuen Angebot zielen die Anbieter jedoch auf flexible Sparer, die in Lebensversicherungen reine Anlageprodukte sehen.

Zukunft der Lebensversicherung ist abhängig vom Vertrauen in die Sicherheit der Anlage und die Unternehmen

Wie schätzen Sie die Risiken einer Lebensversicherung ohne Garantiezins ein?

Däsler: Im schlimmsten Fall zahlt sich die Investition nicht aus. Anders als bei Optionsscheinen oder Anleihen ist ein Totalverlust jedoch ausgeschlossen. Das eingesetzte Kapital bleibt erhalten. Als Verbraucher stellt sich für mich also die Frage, ob ich bereit bin, zugunsten einer voraussichtlich besseren Verzinsung auf die 1,25 Prozent aus dem Garantiezins zu verzichten. Schaut man sich die aktuelle Zinsvergütung beispielsweise auf Tagesgeldkonten an, die bei vielen Instituten nur noch knapp über Null rangiert, ist das keine schlechte Perspektive.

Einige Verbraucherschützer betonen beim LVRG vor allem entgangene Chancen. BdV-Chef Axel Kleinlein hat etwa kritisiert, dass aus LV-Verträgen ausscheidende Kunden benachteiligt sind, wenn es um die Beteiligung an Bewertungsreserven geht.

Däsler: Nach meinem Empfinden ist diese Debatte zu sehr von den Auswirkungen des ohnehin sehr angespannten Zinsumfelds geprägt. Grundsätzlich sollten Ausschüttungen nur auf Basis tatsächlich erwirtschafteter Mittel erfolgen. Bei Bewertungsrücklagen handelt es sich allerdings um erst noch zu realisierende Erträge aus festverzinslichen Wertpapieren. Darauf zurückzugreifen hieße, das sprichwörtliche Fell des Bären zu verteilen, bevor er erlegt worden ist.

Aus Sicht des Kunden ist der Spatz in der Hand mehr wert als die Taube auf dem Dach.

Däsler: Das stimmt. Behält man jedoch die Gesamtheit der Kunden im Blick, dann dürfte heutigen Interessenten an Finanzprodukten eher daran gelegen sein, möglichst viel Kapital im Unternehmen zu belassen. Eine Auszahlung von Bewertungsreserven, die schon dem Namen nach eine Rücklage für zu erwartende Ausgaben darstellen, belastet dagegen das Eigenkapital einer Gesellschaft und macht damit die Anlage insgesamt unsicherer. Bei langfristig angelegten Finanzprodukten wie einer Lebensversicherung kommt es jedoch auf genau dieses Vertrauen entscheidend an. Soll die Lebensversicherung Zukunft haben, dann kann das nur durch Vertrauen sowohl in die Sicherheit der Anlage als auch in die ausgebenden Unternehmen geschehen.

Macht man es sich da nicht zu einfach? Das LVRG sieht vor, dass Versicherer mit Sicherungsbedarf keine Bewertungsreserven ausschütten müssen. Und Ideal-Vorstand Rainer M. Jakobus sagt, dass es keinen Lebensversicherer gibt, bei dem kein Sanierungsbedarf besteht.

Däsler: Der Sicherungsbedarf ermittelt sich aus den langfristigen vertraglichen Verpflichtungen gegenüber dem Kunden, also den Garantiezinsen bestehender Versicherungsverträge. Zum Vergleich: Bis ins Jahr 2000 reden wir von rund vier Prozent. Nur wenn die Bewertungsreserven für festverzinsliche Anlagen höher ausfallen als diese Beträge, werden ausscheidende Kunden am Überschuss hälftig beteiligt.

Daher ist in der Tat davon auszugehen, dass ausscheidende Kunden eine gewisse Zeit nach Inkrafttreten der Reform auf die Bewertungsreserven aus festverzinslichen Anlagen verzichten müssen. Es gilt jedoch zu bedenken, dass Bewertungsreserven für Aktien und Immobilien nicht von der Ausschüttungssperre betroffen sind. Hier bleibt es bei einer Kundenbeteiligung von 50 Prozent an den Bewertungsreserven.

Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang, dass das LVRG vor allem bei Neukunden greift. Wäre es sinnvoll gewesen, auch bestehende Verträge anzupassen?

Däsler: Beides ist geschehen. Bei der Beteiligung an Bewertungsreserven sind auch Bestandskunden betroffen, insbesondere jene, die nur noch kurze Restlaufzeiten haben. Viele Maßnahmen können jedoch strukturell nur bei Neukunden greifen oder sie betreffen Prozesse, die bei Bestandskunden keine Zahlungen oder Ansprüche mehr begründen. Beispielsweise wären Änderungen bei bereits festgesetzten Garantiezinsen in einem Vertrag unzulässig. Zudem lassen sich Kostentransparenz oder Anpassungen beim Höchstzillmersatz nur bei Neuverträgen durchsetzen.

LVRG: Bestandsprovision vs. Kündigungsquote

Wie bewerten Sie bei Neuverträgen die Absenkung des Höchstzillmersatzes von 40 auf nur noch 25 Promille?

Däsler: Gesellschaften mit starkem Vermittlergeschäft geraten zusätzlich unter Druck. Denn auch diese Entscheidung wirkt sich auf die Kapitalsituation der Unternehmen aus. Wer das bestehende Provisionsmodell halten will, muss über die bilanziell erlaubte Anrechnung von 25 Promille der Beitragssummen hinaus aus Eigenmitteln den Vertrieb unterstützen. Große Konzernstrukturen tun sich damit erfahrungsgemäß leichter als kleinere oder möglicherweise sogar spezialisierte Anbieter. Aus Vermittlersicht hängt daher ganz viel mit der strategischen Ausrichtung einer Gesellschaft zusammen und den mit dem LVRG eventuell erforderlichen Anpassungen, etwa durch höhere Bestandsprovisionen.

Erfahrungsgemäß kündigen Versicherungsnehmer LV-Policen durchschnittlich nach 8 Jahren. Droht Vermittlern auch bei Bestandsprovisionen neues Ungemach?

Däsler: Der Gesetzgeber wünscht sich eine Stärkung der Honorarberatung. Insofern verändert sich das Geschäft zunehmend in Richtung laufender Betreuung. Das LVRG ist dabei nur eine von vielen Maßnahmen. Denken Sie nur an IMD2. Mit den bevorstehenden Offenlegungspflichten dürfte der Markt noch viel stärker in Bewegung geraten als bereits jetzt schon. Insofern müssen sich die Vermittler mittelfristig darauf einstellen, das eigene Geschäftsmodell auf Zukunftsfähigkeit abzuklopfen. Eine Frage lautet dabei sicherlich, welche Angebote ich als Vermittler meinen Kunden machen kann, die eine LV-Police gekündigt haben oder kündigen wollen.

Hat das Modell sinkender Abschlusskosten und steigender Bestandsprovisionen, wie es etwa die Stuttgarter Versicherung aber auch Ideal und Ergo verfolgen, also schon ausgedient?

Däsler: Aus meiner Sicht gibt es nur zwei realistische Szenarien: Längere Stornohaftzeiten oder tatsächlich höhere Bestandsprovisionen. Versicherer mit maklerorientiertem Vertrieb dürfen sich am ehesten dafür entscheiden, Vermittler an den finanziellen Risiken eines Stornos und der damit verbundenen Rückzahlung von Anteilen an der Abschlussprovision zu beteiligen. Das zweite Szenario ist das vom Gesetzgeber eher gewünschte, nämlich eine Situation, in der ein Kunde über die gesamte Vertragslaufzeit laufend beraten wird. Wenn den genannten Gesellschaften ein kundenorientierter Vertrieb mit mehrwertigen und transparenten Angeboten gelingt, ist das Modell auch erfolgreich.

Apropos Transparenz: Ein vorgebrachter Kritikpunkt am LVRG lautet, dass nur Effektivkosten ausgewiesen werden müssen. Was sagen Sie?

Däsler: Die vom Gesetzgeber gewünschte Objektivität in der Beratung lässt sich durch die Effektivkostenquote tatsächlich nur bedingt absichern, da in der Tat nur kalkulierte und keine Realkosten berücksichtigt werden. Auch für den Verbraucher kann die Effektivkostenquote nur einer von vielen Bausteinen zur Beurteilung einer Lebensversicherung sein. Denn die günstigste Kostenquote führt nicht notwendigerweise zum optimalen Produkt. Zudem verleitet die Renditereduktion aus marktpsychologischer Sicht zu Fehleinschätzungen, da die absolute Größe häufig gering ausfällt und Unterschiede daher als irrelevant interpretiert werden könnten.

Sind Nettopolicen eine Lösung?

Anzeige

Däsler: Aktuell sehe ich dafür keine Anhaltspunkte. Unserer Erfahrung nach verlangt nur jeder zehnte Makler nach einer Vertriebsausweitung für Nettotarife.

Vielen Dank für das Gespräch.

Faktenkontor

Anzeige