Als Finanzvertriebe wie Mehmet Gökers MEG den Versicherungsvertrieb ins Zwielicht brachten, lag dies nicht daran, dass es keine Produktschulungen gegeben hätte. Im Gegenteil: regelmäßig mussten sich die Mitarbeiter in Schulungsräumen versammeln, um in einer Mischung aus Motivationsseminar und Verkaufstraining die Vorteile der vertriebenen Produkte gepriesen zu bekommen. Auch diese „Schulungen“ trugen mit dazu bei, dass die Vertriebsmitarbeiter im Akkord unpassende Produkte an den Mann bzw. die Frau brachten – viele hinterfragten schlicht nicht die Botschaften des Verkaufstrainings.

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Umso fragwürdiger mutet es nun an, wenn sich auch in die Weiterbildungsinitiative „Gut beraten“ Produktwerbung im großen Stil einschleichen könnte. Natürlich sollen sich Vermittler auch mit den positiven Aspekten eines Produktes beschäftigen, gern in Schulungen der Anbieter. Aber wieviel Werbung ist in einer Initiative angebracht, die nach Selbstaussage des GDV eine „hochwertige Weiterbildung für die Versicherungsvermittler sicherstellen“ soll? Wann tarnt sich eine Verkaufsschulung als Weiterbildung im Sinne des Verbraucherschutzes?

Weiterbildung des Volkswohl Bundes nährt Zweifel

Aktueller Streitpunkt ist die Einladung zu einer Weiterbildung, die der Volkswohl Bund an Versicherungsmakler verschickt hat. Wie procontra Online berichtet, lässt der Text eher an eine reine Werbeveranstaltung denken. Unter dem Punkt „Was erwartet Sie konkret?“ heißt es unter anderem: „Welche verkaufsunterstützenden Maßnahmen können Sie von uns erwarten?“, „Welchen Service bieten wir Ihnen für Ihr Jahresendgeschäft?“ sowie „Wie sichern Sie Ihren Kunden dauerhaft höhere Leistungen durch den aktuellen Rechnungszins?“ Vier Weiterbildungspunkte soll es für die Initiative „Gut beraten“ geben, wenn sich Makler zu einer Teilnahme entschließen.

Rudolf Lohaus, beim Volkswohl Bund für das Vertriebstraining verantwortlich, verwehrt sich jedoch gegen den Verdacht einer reinen Werbeveranstaltung. „Wir halten uns bei Workshop-Konzeptionen eng an die Anrechnungsregeln der Brancheninitiative „Gut Beraten“, erklärte Lohaus gegenüber procontra. Die Veranstaltung diene dazu, Fach- und Beratungskompetenzen rund um das Thema Rechnungszinssenkung zu vermitteln. Auch seien biometrische Themen Gegenstand der Schulung. Als Lernziele listet der Volkswohl Bund unter anderem „rechtliche Rahmenbedingungen kennen und berücksichtigen“ sowie „Versorgungslücken aufzeigen/ berechnen können“ auf.

Versicherungsmakler, denen procontra die Einladung vorlegte, bewerten die Weiterbildung kontrovers. Die vermittelten Inhalte würden längst zum Basiswissen eines Versicherungsvermittlers gehören, gab ein Makler aus Halle zu bedenken, so dass Veränderungen bei den Volkswohl-Produkten den einzigen informativen Mehrwert bilden – dies sei nicht punktwürdig. Ein Makler, der bereits an der beworbenen Veranstaltung teilgenommen hat, berichtete hingegen, es gehe lediglich zehn Minuten um die eigenen Produkte. Ansonsten würde eine Risiko-Profil-Analyse im Mittelpunkt stehen – auch am Beispiel von Sparten, zu denen der Volkswohl Bund gar keine Produkte vertreibe.

Initiative „Gut beraten“ erlaubt Produktschulungen durch Anbieter

Zu der Kritik an der Veranstaltung des Volkswohl Bundes hat sich mittlerweile Dr. Katharina Höhn positioniert, Hauptgeschäftsführerin im Berufsbildungswerk der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (BWV). Sie betont, die Veranstaltung entspreche den Anforderungen der Weiterbildungsinitiative „Gut beraten“.

„Schulungen zu den Produkten durch die Produktgeber selbst sind gemäß den Regeln der Initiative zulässig“, erklärte Höhn in einer schriftlichen Stellungnahme. Schließlich seien Versicherungslösungen im höchsten Maße erklärungsbedürftig - „Fachkompetenz bedeutet ganz zentral, Produkte zu kennen.“

Doch „kennt“ ein Versicherungsvermittler wirklich das Produkt, wenn er durch Schulungen der Anbieter damit vertraut gemacht wird? Ist nicht eher zu erwarten, dass er nur die Vorteile des Produktes erfährt, Risiken oder Fallstricke im Vertrag aber verschwiegen werden? Für Versicherungsmakler und ungebundene Finanzanlagenvermittler ist diese Frage essentiell wichtig – haften sie doch, wenn sie im Beratungsgespräch die Nachteile eines Produktes verschweigen. Neben Schadensersatzforderungen kann im schlimmsten Fall sogar ein Berufsverbot die Folge sein. Schon deshalb wäre eine deutliche Trennung von Produktschulung und Weiterbildung geboten.

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Aktuell ist die Weiterbildungsinitiative noch freiwillig. Das könnte sich aber ändern, sobald die Versicherungsvermittler-Richtlinie IMD II in nationales Recht gegossen wird. Laut einem Bericht von Versicherungsmagazin Online hat heute auch der Europäische Rat eine Pflicht zur Weiterbildung vorgeschlagen. Der Gesetzgeber soll demnach entweder eine Mindeststundenzahl an Weiterbildung vorschreiben oder Folgeprüfungen, die Vermittler für ihre Tätigkeit nachweisen müssen.

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