Pflege-Bahr erlebt derzeit einen kleinen Boom. Rund 400.000 Verträge konnten bis Ende 2013 an den Mann bzw. die Frau gebracht werden, bis zum Jahresende hofft die Versicherungswirtschaft auf eine Million gezeichnete Policen. Doch nun kommt sogar aus den eigenen Reihen heftige Kritik an der staatlich geförderten Pflegezusatzversicherung.

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Rüdiger R. Burchardi, Chef der zur Generali-Gruppe gehörenden Dialog Lebensversicherungs-AG, hält nämlich von derartigen Tarifen gar nichts. Bei einer Präsentation eigener Pflegepolicen seines Hauses habe Burchardi Pflege-Bahr nun als „Mogelpackung“ bezeichnet, berichtet das Onlineportal Versicherungswirtschaft Heute.

Kontrahierungszwang macht Pflege-Bahr-Produkte teuer

Was aber ist der Grund für die harte Kritik? Bei Pflege-Bahr-Policen ist es den Versicherern per Gesetz verboten, abschlusswillige Kunden aufgrund ihres Alters oder einer Vorerkrankung abzuweisen. Das macht die Risikokalkulation schwierig, befürchten doch die Versicherer, dass überproportional viele alte und kranke Versicherungsnehmer diese Policen abschließen. Aufgrund des Kontrahierungszwangs müssten die Prämien für viele Kunden zu teuer kalkuliert werden, argumentiert nun Burchardi, während die Leistungen vergleichsweise gering seien. Sein Fazit: die Tarife könnten keinen „spürbaren Beitrag zur Verminderung der finanziellen Lücke beim Eintritt des Pflegefalls“ leisten.

Doch auch die private Versicherungswirtschaft sei nicht in der Lage, das gesellschaftliche Problem vollständig zu lösen, das sich aus der stark wachsenden Zahl an Pflegefällen ergebe. So erklärte Burchardi laut Versicherungswirtschaft heute, die von seinem Haus angebotene Pflegerentenversicherung „SPR-care“ sei für eine „abgegrenzte Zielgruppe“ konzipiert, nämlich „alle, die etwas zu verlieren haben“. Dies könnten beispielsweise Menschen sein, die sich im Laufe ihres Lebens eine Immobilie erarbeitet haben, eine Kapitallebensversicherung ausgezahlt bekommen oder andere Vermögen angespart haben, die laut Gesetz zur Finanzierung im Pflegefall herangezogen werden, wenn die eigene Rente nicht ausreiche.

Pflegetagegeldversicherung biete „keine Beitragsstabilität“

Grundsätzlich sieht Burchardi Pflegetagegeld-Versicherungen, zu denen auch die Pflege-Bahr zählt, eher kritisch. Nach seinen Worten könne man eine derartige Police schon deshalb nicht „guten Gewissens“ verkaufen, weil sie keine Beitragsstabilität biete, nur eine lebenslange, aber keine abgekürzte Beitragszahlungs-Dauer möglich sei und sie kaum Möglichkeiten zur Flexibilisierung erlaube. Deshalb habe man im eigenen Haus eine Pflegerentenversicherung wie „SPR-care“ bevorzugt und dabei auf Flexibilisierung großen Wert gelegt.

Bisher waren es vor allem die Oppositionsparteien, die heftigste Kritik an Pflege-Bahr übten. Elisabeth Scharfenberg, pflegepolitische Sprecherin der Grünen, bezeichnete die Zusatzversicherung als „bürokratisch und ungerecht und lediglich ein Zusatzgeschäft für die Privatversicherungen“. Die Linke hatte sogar die Abschaffung der staatlichen Förderung gefordert. Auch die SPD ging letztes Jahr mit dem Slogan "Statt 5 € Pflege-Bahr - eine bessere Pflege für alle" in den Bundestagswahlkampf – rückte aber in der Großen Koalition von ihrer Forderung nach einer Abschaffung ab. Der PKV-Verband betont hingegen, dass die Police gerade bei frühem Beginn eine vollwertige Absicherung biete: sogar kranken Menschen, die sonst keine Pflegepolice erhalten würden.

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Das Institut für Vorsorge und Finanzplanung (IVFP) wertet es zusätzlich als problematisch, dass die Pflege-Bahr-Policen keine Beitragsbefreiung im Leistungsfall vorsehen. Im schlimmsten Fall könne die erwartbare Leistung aus Pflegestufe 0 oder 1 – je nach Versicherer – unter dem monatlichen Beitrag liegen, der auch von Pflegebedürftigen weitergezahlt werden müsse. Die Versicherten hätten also jahrelang umsonst eingezahlt. Allerdings nimmt das Institut für seine Modellrechnungen eine überraschend hohe Beitragssteigerung von jährlich 5 Prozent an (Versicherungsbote berichtete).

Versicherungswirtschaft Heute

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