Es war vor allem die rote-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder, die mit ihren Rentenreformen eine langfristige Absenkung des Rentenniveaus bewirkte. Durch das Altersvermögensergänzungsgesetz aus dem Jahr 2001 und das RV-Nachhaltigkeitsgesetz von 2004 wird die gesetzliche Rentenversicherung langfristig 20 Prozent ihres Leistungsniveaus verlieren. Die Reformen wurden damals mit der Alterung der Gesellschaft begründet – und damit, dass die Bundesbürger mehr private Altersvorsorge betreiben sollen.

“Rentenniveau langfristig über 50 Prozent halten“

Doch nun stellt die Sozialdemokratie die früheren Reformen immer mehr in Frage. Nur wenige Wochen nachdem die „Rente mit 63“ auf den Weg gebracht wurde, wagt der SPD-Linke Ralf Stegner einen neuen Vorstoß alte Weichenstellungen zurückzunehmen.

„Wir wollen das Rentenniveau langfristig nicht unter 50 Prozent sinken lassen. Das gilt auch für die Zeit nach der Legislaturperiode“, sagte der stellvertretende SPD-Vorsitzende gegenüber RP Online. Mit dieser Forderung schlägt sich Stegner auf die Seite der Gewerkschaften, die vor eine Absenkung des Rentenniveaus auf 43 Prozent strikt ablehnen. Die Durchschnittsrente liege dann kaum noch über Sozialhilfeniveau, gibt der DGB zu bedenken.

Doch wie soll das finanziert werden, wenn schon Mütterrente und „Rente mit 63“ die Rentenkassen mit zweistelligen Milliardenbeträgen zusätzlich belasten? „Die Stabilisierung des Rentenniveaus bei über 50 Prozent gelingt, wenn wir die Erhöhung der Mütterrenten wieder aus der Beitragsfinanzierung herausnehmen“, sagte Stegner dem Düsseldorfer Blatt. „Die Mütterrenten müssen aus Steuermitteln finanziert werden. Hier würde eine von der SPD geführte Bundesregierung ab 2017 wieder umsteuern.“ Brisant: mit dieser Forderung stellt sich der Sozialdemokrat gegen den Koalitionspartner.

Zugleich mahnte Stegner höhere Löhne an, denn auch er weiß: eine Stabilisierung der Mütterrenten reicht für die Finanzierung eines hohen Rentenniveaus nicht aus. „Damit das Rentenniveau über 50 Prozent stabilisiert werden kann, müssen die Löhne und Gehälter vor allem von Frauen künftig stärker steigen als bisher“, sagte Stegner. „Aber auch Lohneinkommen insgesamt müssen deutlich steigen.“

Stegners Vorstoß erntet Kritik

Das Problem: in der alternden Gesellschaft müssen immer mehr Rentner von immer weniger Beschäftigten über das Umlagesystem finanziert werden. So warnen Rentenexperten davor, vor allem jüngere Erwerbstätige würden durch Rentenerhöhungen übermäßig belastet.

Aus diesem Grund reagierten auch SPD-Politiker irritiert auf Stegners Vorstoß. "Ich sehe keine Möglichkeit, das Rentenniveau auf dem jetzigen Niveau einzufrieren. Das ginge nur, wenn wir die Beitragssätze viel früher als geplant deutlich erhöhen würden. Das wollen wir nicht", sagte die Chefin des Sozialausschusses im Bundestag, Kerstin Griese (SPD), RP Online. Zudem sei auch die solidarische Lebensleistungsrente zu stemmen.

Noch deutlicher meldete sich der Koalitionspartner zu Wort. Der CDU-Haushaltsexperte Norbert Barthle sagte, Stegners Vorstoß sei „aus der Zeit gefallen“ und „völlig fehl am Platz“. Für den Schlingerkurs der SPD hätten viele Bundesbürger kein Verständnis.

Demografie vs. Steigerung der Produktivität

Befürworter einer stärkeren gesetzlichen Rente beziehen sich gern auf den Statistiker Gerd Bosbach, der die Warnungen vor der Alterung als Panikmache abtut. Demnach erzwinge ein anwachsender Rentneranteil nicht zwangsläufig ein niedrigeres Rentenniveau, solange die zunehmende Zahl an Ruheständlern durch eine steigende Produktivität aufgefangen werden kann. Ähnlich argumentiert nun auch Ralf Stegner, wenn er ein hohes Rentenniveau über steigende Löhne finanzieren will.

“Produktivität schlägt die Demografie“, lautet das Credo von Bosbach. So habe sich der Anteil der Rentner auch zwischen 1900 und 2000 von unter 5 Prozent auf über 17 Prozent mehr als verdreifacht, der Jugendanteil zugleich halbiert – bisher ohne negative Auswirkungen auf die Gesellschaft, denn die Renten haben sich in der Zeit deutlich erhöht. Kritiker dieser Denkweise weisen hingegen darauf hin, dass die Beschäftigten schon jetzt hohe Belastungen akzeptieren müssen, um die Altersbezüge der Ruheständler zu finanzieren, und sehen kaum Spielraum für Rentenerhöhungen.

RP Online