Versicherungsbote: Wie hat sich die Nachfrage nach Kunstversicherungen in den letzten Jahren entwickelt? Bemerken Sie eine steigende Nachfrage, zum Beispiel weil Kunst vermehrt als Geldanlage und Liebhaberstücke nachgefragt wird?

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Julia Ries: Kunst hat sich in den vergangenen Jahren unter dem Eindruck niedriger Zinsen in relevanten Volkswirtschaften als alternative Assetklasse entwickelt. Der Zins als der Preis des Geldes bzw. der Liquidität hat damit zwischenzeitlich werthaltigeren Anlageformen wie Anleihen oder Immobilien einen weiteren Aufschwung beschert. Die anhaltende Niedrigzinsphase hat schließlich auch Investitionsentscheidungen zugunsten von Sachwerten - wie beispielsweise Kunst- und Sammlungsobjekten - befördert. Gleichzeitig hat sich die Niedrigzinsphase auch auf andere Sachwerte ausgewirkt, wie zum Beispiel Oldtimer und Edelmetalle.

Aufgrund von Werterhaltungserwägungen sind in diesem Zusammenhang auch Versicherungsdeckungen für diese speziellen Vermögenswerte bedeutsamer geworden, die insbesondere in der Kunstversicherung spürbar waren. Hier wurden Kunstdeckungen, aber auch Oldtimer-Deckungen oder die Versicherung von Goldbarren nachgefragt - Risiken sind hier nicht auf Wertverlust zurückzuführen (z.B. durch die Volatilität der Finanzmärkte), sondern auf Gefahren wie Diebstahl, Beschädigung oder Zerstörung.

Wie haben sich die Zahl der Schäden und Schadensummen in der privaten und institutionellen Kunstversicherung entwickelt?

Das institutionelle Segment, zu dem insbesondere Museen und Ausstellungen zählen, ist traditionell weniger schadenbelastet als andere Segmente in der Kunstversicherung. Bis auf wenige Schadenfälle, die die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, ist der museale Bereich aus versicherungstechnischer Perspektive als sehr auskömmlich anzusehen.

Anders verhält es sich im gewerblichen Bereich, etwa im Kunsthandel. Hier kommt es auch infolge von Transporten von Kunstgegenständen zu einer hohen Frequenz an transportbedingten Beschädigungen. Eine Ursache hierfür sind Kostenerwägungen bei der Wahl von Fachspeditionen. Einsparungen z.B. bei der fachgerechten Verpackung sensibler Güter machen sich selten bezahlt. In der Regel sind Beschädigungen die Folge unsachgemäßer Transporte. Diese sind nicht in jedem Fall durch eine entsprechende Transportpolice gedeckt und müssen vom Kunden teuer bezahlt werden.

Im Privatkundensegment schließlich sind es vor allem die an eine Kunstdeckung angebündelten Hausrat- oder Gebäudeversicherungen, die zu einer Schadenbelastung führen. Hier sind allerdings keine allgemeinen Markttrends erkennbar.

Können hohe Einzelschäden wie etwa durch den Brand in der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar dazu beitragen, dass die Prämien plötzlich allgemein stark angehoben werden müssen?

Großschadenereignisse, die geeignet wären, eine Trendwende auf das Ratenniveau im Versicherungsmarkt herbeizuführen, haben schon so manche Fantasie beflügelt. Auch wenn Großschäden angesichts hoher Exposures im Kunstversicherungsmarkt denkbar sind, hat bisher kein Szenario der anhaltenden Weichmarktphase Einhalt gebieten können. Es ist zudem zu bezweifeln, ob angesichts eines ansonsten ausgesprochen profitablen Marktsegments einzelne Großschadenereignisse die Wirkungsmacht erzeugen könnten, die Preise für Risiken anzuheben.

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Der Brand der Anna Amalia Bibliothek in Weimar im Jahr 2004 liegt 20 Jahre zurück. Dies ist ein Beispiel dafür, dass auch einzelne tragische Ereignisse wie diese praktisch keine Auswirkung auf die Prämienraten im Markt haben.

Kunstraub: "Der Vorgang hat Schwachstellen in Museen offenbart"

In den letzten Jahren sorgten spektakuläre Kunstraube wie im Grünen Gewölbe in Dresden für Schlagzeilen. Haben sie dazu beigetragen, dass die Versicherer vermehrt Ausschlüsse formulieren müssen? Oder wurden den Museen strengere Obliegenheiten abverlangt?

Aus dem Grünen Gewölbe wurden historisch bedeutsame Juwelen durch organisierte Kriminalität gestohlen. Einige der Täter, die zum Teil bereits an dem Diebstahl der Goldmünze aus dem Berliner Bode Museum beteiligt waren, wurden mittlerweile verurteilt und ein Teil der Beute wiedergefunden.

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Der Vorgang hat Schwachstellen in Museen offenbart, aber auch deutlich gemacht, dass Taten wie diese über die Möglichkeiten einzelner Ausstellungsinstitute hinausgehen. Sicherungskonzepte müssen heutzutage auch äußere Faktoren ins Kalkül ziehen, wie z.B. die Manipulierbarkeit zentraler Stromleitungen oder Straßenbeleuchtungen.

Wie positionieren Sie sich zur Staats- oder Länderhaftung?

Kulturelle Einrichtungen des Bundes bzw. der Länder der Bundesrepublik Deutschland haben unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, an Stelle des Abschlusses einer privatwirtschaftlichen Versicherung die Garantiezusage des Bundes bzw. eines Landes in Anspruch zu nehmen. Dabei übernimmt der Bund bzw. das betreffende Land die Haftung im Schadensfall.

Diese Staats- bzw. Länderhaftung ist eine verbreitete Möglichkeit der Risikomitigierung für öffentliche Ausstellungsinstitute, die der Basisabsicherung dient. Allerdings bleiben in dem staatlichen Deckungskonzept oft Risiken unberücksichtigt oder sind explizit ausgeschlossen.

Hier zeigt sich die Überlegenheit privatwirtschaftlicher Lösungen, die entweder als Subsidiärhaftung die Deckungslücken der Staatsdeckung kompensieren oder diese aufgrund ihres umfassenderen Deckungskonzepts vollständig ersetzen.

Welche Rolle spielt die private Versicherung von Kunstwerken im Vergleich zu öffentlichen Risikoträgern? Gibt es vielleicht auch Bestände, bei denen der drohende Schaden so hoch ist, dass sie über private Anbieter nicht versicherbar sind?

Private Risikoträger können insbesondere durch Ihre fachliche Expertise im Risikomanagement ganz anders als Behörden einen wichtigen Beitrag bei der Schadenprävention bieten. Dabei steht die individuelle Risikosituation des einzelnen Kunden stets im Mittelpunkt. So können z.B. Interventionspläne vorab genau für die Besonderheiten der zu versichernden Einrichtung konzipiert werden, damit im Falle eines Schadenereignisses alle schadenmindernden Maßnahmen wie in einem Uhrwerk planvoll ablaufen.

Außerdem sind private Kunstversicherer in der Regel interdisziplinär bestens vernetzt und können auch beim Kulturgutschutz dem Kunden beratend zur Seite stehen. Denn angesichts zunehmender Risikoszenarien, die u.a. auch Klimawandel umfassen, haben die Anforderungen an Risikomanagement im kulturellen Bereich an Komplexität zugenommen. Diese Vielfalt an Expertise kann ein einzelnes Kulturinstitut kaum unter einem Dach vereinen.

Einzelne Werke haben einen enorm hohen Einzelwert im dreistelligen Millionenbereich. Vor allem in Museen, Archiven und Sammlungen kommen so sehr hohe Summen zusammen. Sind Sammlungen über mehrere private Versicherer bzw. Konsortien abgesichert, um hohe Einzelschäden zulasten eines einzelnen Anbieters zu vermeiden? Wie kommen solche Konsortien zustande?

Vor allem sogenannte „Blockbuster“-Ausstellungen können Versicherungssummen in Milliardenhöhe umfassen. Das sind z.B. Ausstellungen, die aufgrund der hohen Werte einzelner Exponate oder künstlerischer Raritäten überdurchschnittlich hohes Interesse beim Publikum erzeugen.

Die Deckung ist durch einen einzelnen Risikoträger aus einer Reihe von Gründen in der Regel nicht darstellbar. Einerseits aufgrund der zur Verfügung stehenden Kapazitäten bzw. Rückversicherungsdeckungen. Andererseits aufgrund von Risikoerwägungen, denn im Falle eines Totalschadens wird der Versicherer mit dem Gesamtschaden im Brutto belastet.

Daher ist es üblich, die Risikotragung bei Großrisiken auf verschiedene Risikoträger mittels der Bildung von Konsortien zu verteilen. Konsortien bestehen aus beteiligten Versicherungsunternehmen, die jeweils einen prozentualen Anteil eines Risikos zeichnen. Die Besorgung eines Konsortiums obliegt in der Regel dem Versicherungsvermittler.

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Die Fragen stellte Mirko Wenig

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